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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau
Autoren: Philippa Gregory
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kann mir nicht vorstellen, daß eine Äbtissin dich mit offenen Armen aufnimmt, wenn sie hört, daß du Rauch gerochen hast und davongerannt bist wie jeder Sünder.«
    »Ich könnte Buße tun...«
    Morach lachte ungläubig. »Die werden dich wohl eher im Hemd auf die Straße jagen, damit Fremde sich nach Herzenslust an dir bedienen können«, sagte sie. »Du bist ruiniert, Schwester Ann! Dein Gelübde ist gebrochen, deine Abtei ist eine rauchende Ruine, deine Schwestern sind tot, vergewaltigt oder geflohen. Was willst du also tun?«
    Schwester Ann vergrub ihr Gesicht in den Händen. Morach beobachtete sie ungerührt, bis ihre Schultern aufhörten zu beben und die geschluchzten Gebete verstummten. Es dauerte einige Zeit. Morach zündete sich eine kleine schwarze Pfeife an, inhalierte den betörenden Kräuterrauch und seufzte genüßlich.
    »Das beste wird wohl sein, du bleibst hier«, bot sie ihr an. »Besser kannst du's nicht treffen. Hier erfahren wir, wie's deinen Schwestern ergangen ist. Wenn die Äbtissin überlebt hat, wird sie dich hier suchen. Gehst du fort, weiß sie nicht, wo sie dich suchen soll. Vielleicht sind alle Mädchen weggerannt, so wie du — zurück zu ihren Familien —, vielleicht wird man euch allen verzeihen.«
    Schwester Ann schüttelte den Kopf. Der Rauch war heiß gewesen, das Feuer nahe am Kreuzgang. Die meisten Nonnen waren sicher im Schlaf in ihren Zellen verbrannt. »Ich glaube nicht, daß sie es geschafft haben«, sagte sie.
    Morach nickte und verkniff sich ein Grinsen. »Du bist als erste raus, was?« fragte sie. »Am schnellsten?« Sie betonte das mit einer kurzen Atempause. »Dann gibt es keinen Platz, an den du gehn kannst. Du kannst nirgends hingehen.«
    Dieser Schlag ließ Schwester Ann schwanken. Morach bemerkte ihre aschfahle Haut.
    »Ich nehme dich wieder auf«, sagte Morach. »Und die Leute werden den Mund halten. Es wird sein, als wärst du nie weggewesen. Du warst vier Jahre weg, und jetzt bist du wieder da. Sechzehn bist du, nicht wahr?«
    Ann nickte, hörte kaum, was Morach sagte.
    »Reif fürs Heiraten«, sagte Morach befriedigt. »Oder fürs Bett«, fügte sie hinzu, eingedenk der Prophezeiung der Knochen und des jungen Lords Hugo.
    »Das nicht«, sagte Ann mit sehr leiser Stimme. »Ich werde bei dir bleiben, Morach, und ich werde für dich arbeiten, wie vorher. Ich weiß jetzt auch mehr über Kräuter und Blumen — auch über Gartenblumen, und ich kann lesen und schreiben. Aber ich werde nur Gottes Werke tun, nur heilen und Hebammendienste leisten. Keine Amulette, keine Zauberformeln. Ich gehöre Christus. Ich werde hier mein Gelübde einhalten, so gut es geht, bis ich einen Ort gefunden habe, an den ich gehen kann, oder eine Äbtissin, die mich aufnimmt. Ich werde nach Gottes Willen Menschen Genesung verschaffen, ich werde auch hier die Braut Christi sein...« Sie sah sich um. »An diesem armseligen Ort«, sagte sie mit erstickter Stimme, »werde ich versuchen, mein Bestes zu tun.«
    »Gut, genug«, sagte Morach ungerührt. »Du wirst für mich arbeiten. Und wenn der junge Lord nach Norden gezogen ist, um den Schotten das Leben schwerzumachen, kannst du nach Castleton gehen und fragen, was es Neues gibt.«
    Sie hievte sich hoch und schüttelte ihr verdrecktes Gewand aus.
    »Jetzt, wo du wieder da bist, kannst du das Beet umgraben«, sagte sie. »Ich habe es einfach wuchern lassen, seit du fort bist. Ich wollte jetzt Rüben für die Wintermonate anbauen.«
    Das Mädchen nickte, erhob sich und ging zur Tür. Eine neue Harke stand daneben — Bezahlung für einen Zauberspruch für das wanderlustige Vieh eines Nachbarn.
    »Schwester Ann!« rief Morach leise.
    Sie drehte sich sofort um.
    Morach fixierte sie mit grimmiger Miene. »Du wirst nie wieder auf diesen Namen hören«, sagte sie. »Hast du mich verstanden? Nie wieder. Du bist jetzt wieder Alys, und wenn dich jemand fragt, erklärst du, daß du bei deinen Verwandten in Penrith warst. Du bist Alys. Das ist dein Name. Ich habe ihn dir einmal gegeben, und jetzt gebe ich ihn dir wieder. Vergiß, daß du Schwester Ann warst. Das war ein anderes Leben, und es hat ein schlechtes Ende gefunden. Jetzt bist du Alys — vergiß das nicht.«

2
    In der Folge der Brandschatzung des Klosters kamen Soldaten und Tagediebe, die den angeblichen Verstecken von Schätzen und goldenen Kelchen auf der Spur waren. In Bowes hatten sie nur wenig Freude, das halbe Dutzend von Familien, das dort lebte, mochte keine Fremden, und vier von fünf
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