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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau
Autoren: Philippa Gregory
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was gesagt wurde.
    »Ich bin gesund genug, dabei zu sein«, sagte Alys. »Es ist mein Wunsch, Euch zu dienen.«
    Lord Hugh nickte. Er sah, wie weiß Alys' Gesicht war, die Spannung, die sich in den dunklen Schatten unter ihren Augen und ihrem grimmigen Mund zeigte. »Hinterher ruhst du dich aus«, sagte er barsch. »Du siehst furchtbar aus.«
    »Danke, Mylord«, sagte Alys ruhig. »Das werde ich.«
    Die Halle war restlos überfüllt. Die Leute hatten schon seit Mittag an den Schloßtoren gewartet. Sobald das Essen beendet war, hatte man die Tische gegen die Wand geschoben, das Feuer, das seit Alys' erstem Tag im Schloß brannte, war gelöscht worden und die Asche weggefegt, so daß die Leute auf der gesamten Fläche des Raumes sitzen konnten. Die Bänke und Stühle waren in konzentrischen Kreisen um den Hohen Tisch angeordnet. Die Menschen saßen dicht gedrängt. Im hinteren Teil der Halle standen noch mehr wackelige Bänke, auf denen die Leute balancierten, vornübergebeugt, um besser sehen zu können.
    Alys saß bei den Damen, hinter dem Hohen Tisch, so nah es ging an der Wand. Das schöne Wetter von gestern war dahin, die Sonne in Nebel gehüllt. Die Halle war dunkel, obwohl es erst zwei Uhr nachmittags war. Alys lehnte sich zurück. Vor ihr lagen das Buch, in dem Lord Hughs vierteljährliches Gericht festgehalten wurde, zwei Federn und ein Tintenfaß. Die anderen Frauen saßen Alys am Tisch gegenüber, mit Blick auf die Hohe Tafel, und versuchten, Alys genug Platz zum Schreiben zu lassen.
    Die Tür hinter dem Wandbehang öffnete sich, und Lord Hughs Trompeter, auf seinem Platz hoch oben in der Sängergalerie am hinteren Ende der Halle, blies eine kurze Fanfare. Alle in der Halle erhoben sich. Eine Bank kippte um und krachte nach hinten, jemandem auf die Zehen, der laut fluchte. Lord Hugh schritt in die Halle, angetan mit seiner besten Robe mit dem pelzverbrämten Kragen, und nahm seinen Platz an der Hohen Tafel ein. Hinter ihm kam Hugo und setzte sich zu seiner Rechten, seinem angestammtem Platz beim Essen.
    »Führt den Angeklagten vor«, sagte Lord Hugh mit gesetzter Stimme.
    Der Mann wartete bereits. Er trat vor: »John Timms, Mylord«, sagte er mit gebührendem Respekt.
    Lord Hugh sah sich um. »Alys!«, sagte er irritiert. »Ich weiß nicht, was du da hinten zu suchen hast. Bring dein Buch hierher, damit ich die Eintragungen sehen kann.«
    Alys zögerte. »Ich würde lieber...«, begann sie.
    »Komm hierher«, sagte Lord Hugh barsch. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Je eher das hier erledigt ist, desto eher kriegen wir diesen Pöbel wieder aus dem Schloß und zurück an ihre Arbeit.«
    Alys nahm das Buch und ging zu Catherines Platz zur Linken des alten Lords. Eliza folgte ihr mit dem Tintenfaß und den Federn. Alys setzte sich und beugte sich tief über das Buch. Sie hoffte, daß sie in ihrem dunklen Kleid und der großen schwarzen Giebelhaube als niederer, unwichtiger Schreiberling übersehen wurde.
    »Schreib John Timms«, sagte Lord Hugh und zeigte mit dem Finger auf eine Spalte.
    Alys schrieb gehorsam. Es gab eine lange Reihe von Namen, dann die Spalte für den Beruf und das Alter, dahinter Platz für die Anklage und das Urteil. Die meisten Urteile lauteten auf schuldig. Lord Hugh war nicht der Mann, der im Zweifelsfalle Milde walten ließ.
    »Hat versäumt, das Bogenschießen zu üben«, las Lord Hugh von einem zerknüllten Stück Papier aus einem Stapel auf dem Tisch vor.
    John Timms nickte. »Schuldig«, sagte er. »Es tut mir leid. Das Geschäft ging sehr schlecht, und ich hab keine Zeit gehabt, und mein Sohn und die Lehrlinge auch nicht.«
    Lord Hugh fixierte ihn mit grimmigem Blick. »Und wenn ich keine Zeit habe, uns eine Horde Soldaten und die Schotten vom Leib zu halten, wenn die Franzosen uns den Krieg erklären oder die verdammten Spanier es sich in den Kopf setzen, bei uns vorbeizuschauen — was dann?« fragte er. »Strafe: drei Schilling. Und daß mir das nicht wieder vorkommt.«
    Alys kritzelte hastig.
    Der nächste Fall war ein gestohlenes Schwein. Die Angeklagte Elizabeth Shore behauptete, das Schwein hätte in ihrem Hof herumgestreunt und das Hühnerfutter gefressen. Somit wäre es den ganzen Sommer von ihr umsonst gefüttert worden. Der Ankläger behauptete, sie hätte es in den Hof gelockt. Lord Hugh ließ sie ein paar Minuten lang streiten, dann schlug er auf den Tisch und befahl ihnen, das Schwein gemeinsam zu mästen, zu schlachten und dann zu teilen: drei Viertel des
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