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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau
Autoren: Philippa Gregory
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dunkelgrünes, fast schwarzes Kleid. Sie trug es mit einem schwarzen Unterrock und einer hohen, altmodischen Giebelhaube. Beim Schließen der Truhe fiel ihr Blick auf Catherines rosa-weißes Kleid, mit dem Catherine Hugo wiedergewinnen wollte, das Gewand, mit dem Alys im Traum durch den Garten gegangen war, am Arm des jungen Lords. Alys ließ den Deckel der Truhe mit einem Knall zufallen.
    Pater Stephen sprach ein Gebet für Catherines Seele, ehe er das Tischgebet betete. Er betete in Englisch. Alys lauschte der seltsamen, zwanglosen Unterhaltung zwischen Pater Stephen und seinem Gott. Es klang nicht, als würde er Catherines Seele vor der Hölle bewahren. Alys hielt den Kopf gesenkt und sagte mit den übrigen »Amen«.
    Sie hatte es vorgezogen, zum Mittagessen am Tisch der Frauen zu sitzen, hinter den Lords. Sie wollte nicht am Hohen Tisch sitzen, zwischen dem alten Lord und Pater Stephen. Sie wollte nicht Catherines Platz einnehmen, solange Catherine blau und eisig in der kleinen Kapelle lag. Sie wollte dem alten Lord nicht ins Gesicht schauen und in seinem verstellten, lächelnden Gesicht sehen, wie er überlegte, was für einen Vorteil diese unvorhergesehene Wende bringen könnte. Sie wollte Hugos sorglose Freude über seine Freiheit nicht sehen.
    Die Frauen schwiegen während des Essens. Man reichte Brühe und ein halbes Dutzend Fleischgerichte und Salate. Keiner aß sehr viel. Alys beobachtete von ihrem alten Platz aus Hugos Hinterkopf und Rücken und sah, daß er nach seinem Morgenritt kräftig zulangte. Er hatte Catherine nicht gesehen, halb aus ihrem Bad hängend, mit ihren blauen Lippen. Er war noch nicht in die Kapelle gegangen, um für ihre Seele zu beten. Er hatte sich nicht einmal umgezogen, trug immer noch ein rotes, geschlitztes Wams, unter dem sein weißes Hemd hervorspitzte, ein schweres rotes Cape um die Schultern und rote Hosen mit schwarzen Reitstiefeln. Als einer der Servierer in der Mitte der Halle seinen Teller fallen ließ, lachte Hugo, ohne eine Spur von Trauer.
    Der alte Lord lächelte stillvergnügt vor sich hin. Hugo war jetzt Witwer, die Ländereien aus Catherines Mitgift gehörten ihm, ohne Einschränkung. Die Heirat mit der Neunjährigen war praktisch arrangiert, aber mit Catherines Vermögen und Hugo als Witwer ließen sich die Bedingungen sicher noch verbessern.
    Die Pagen stellten Hippocras-Wein, Früchte und Waffeln auf den Tisch. Alys nahm ein kleines Glas Hippocras und spürte, wie der süße Wein sie durch und durch wärmte.
    »Irgendwie scheint es mir unrecht, hier zu essen und zu trinken, wo Mylady gerade erst gestorben ist«, sagte Eliza.
    Alys schien das nicht sonderlich zu interessieren. »Du kannst mit Ruth Totenwache halten, wenn du willst. Aber im Schloß wird getan, was Mylord befiehlt.«
    Eliza nickte. »Wie Ihr meint«, sagte sie und wandte den Blick von Alys' kaltem Gesicht.
    Lord Hugh schaute sich um. »Alys«, sagte er streng.
    Alys erhob sich, stellte sich hinter seinen Stuhl und beugte sich vor.
    »Pater Stephen ist mit den Vorbereitungen für Catherines Beerdigung und dem Verhör der alten Frau beschäftigt, also wirst du mein Schreiber bei den Verhandlungen sein. Komm in einer Stunde in mein Gemach, dann können wir die Papiere vorbereiten. Die Verhandlungen beginnen um zwei Uhr — hier.«
    »Ich werde nicht wissen, was ich schreiben soll«, antwortete Alys widerwillig. »Könnte Euch David da nicht besser dienen? Oder selbst Lord Hugo?«
    »Ich werde dir sagen, was du schreiben mußt«, erwiderte Lord Hugh streng. »Es geht der Reihe nach. Wir haben ein Buch, in dem die Anklage und das Urteil eingetragen werden. Jeder Narr könnte das. Komm vor zwei in mein Zimmer.«
    »Ja, Mylord«, sagte Alys resigniert.
    »Du kannst jetzt gehen«, sagte er. Er warf einen raschen Blick auf ihr blasses Gesicht. »Du bist doch nicht krank, oder? Das Kind ist wohlauf? Catherines Tod hat dich doch nicht zu sehr beunruhigt oder dem Kind geschadet?«
    »Nein«, sagte Alys kühl. Sie überlegte, ob sie sich krank stellen sollte, um damit den Verhandlungen aus dem Weg zu gehen, aber sie wußte, daß sie nicht noch einmal in ihrem Zimmer auf den Ausgang warten könnte. Marys Bericht über Mutter Hildebrandes Hexenprozeß war so sparsam gewesen, daß es eigentlich schlimmer war, als gar nichts zu wissen. Alys wollte sich an den Frauentisch im hinteren Teil der Großen Halle setzen, mit gesenktem Haupt, und aufschreiben, was Lord Hugh befahl. Dann würde sie zumindest alles hören,
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