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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau
Autoren: Philippa Gregory
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jetzt«, sagte er. »Bringen wir das hinter uns. Eine ekelhafte Angelegenheit. Gefällt mir gar nicht.«
    »Bitte!« zischte Alys.
    Lord Hugh schüttelte den Kopf, er hörte gar nicht hin. »Mach deine Arbeit, Alys«, sagte er barsch. »Das ist der letzte Fall. Ich bin selbst erschöpft.«
    Alys beugte den Kopf über das Buch und schrieb mit großer Sorgfalt das Datum. Sie registrierte den Aufruhr in der Halle, die Soldaten, die langsam hereinkamen, nicht im Takt wie sonst marschierten, humpelnde Schritte hinderten sie daran.
    »Gebt ihr einen Schemel«, sagte Lord Hugh ungeduldig. »Gebt ihr einen Stuhl, die alte Frau kann nicht stehen. Und gebt ihr einen Becher Wein.«
    Alys hielt den Kopf gesenkt. Sie hatte den irrsinnigen Gedanken, daß sie, wenn sie den Kopf nicht hob, die Augen nicht hob, auch nicht sehen könnte, wie Mutter Hildebrande auf einem Schemel in der Mitte der Halle saß, umringt von gaffenden Leuten. Wenn sie den Kopf gesenkt hielt und nicht schaute, dann würde nicht Mutter Hildebrande da sitzen. Jemand anderes würde da sitzen. Ein anderer Mensch.
    »Dein Name?« Stephen erhob sich. Alys schaute nicht hoch.
    »Hildebrande vom Kloster Egglestone.« Die Stimme war anders, krächzend, als hätte die Sprecherin einen aufgekratzten Hals. Sie war tief und heiser. Und auch die Sprache war anders. Diese alte Frau konnte nicht deutlich sprechen, konnte keine Worte formulieren, lispelte ihre »s« und verschluckte Worte. Alys schrieb »Hildebrande« in die Spalte für den Namen des Angeklagten und redete sich ein, daß es gar nicht Mutter Hildebrande sein konnte, da es nicht ihre klare Stimme und ihre reine Sprache war — sie konnte es einfach nicht sein.
    »Nicht diesen papistischen Scheinnamen, sondern deinen richtigen Namen«, sagte Stephen.
    »Er klingt wütend«, dachte Alys und hielt den Kopf über das Buch gesenkt. »Er sollte nicht wütend sein auf diese alte Dame mit dem wunden Hals, was immer sie auch getan hat.«
    »Mein richtiger Name ist Hildebrande«, sagte die krächzende Stimme und rang nach Luft: »Von der Abtei Egglestone.«
    »Schreib: Weigert sich, richtigen Namen zu nennen«, sagte Stephen zu Alys. Sie malte mühsam eine Klammer unter den bereits geschriebenen Namen, dann schrieb sie: »Weigert sich, richtigen Namen zu nennen«. Sie nickte zufrieden. Es war nicht die Stimme ihrer Mutter, Hildebrande war nicht ihr Name. Es war jemand ganz anderes. Über ihrem Kopf gingen die Frage weiter.
    »Du warst Nonne in der Abtei?« fragte Stephen.
    »Das war ich.«
    »Du warst in jener Nacht anwesend, als die Abtei wegen Ketzerei, papistischer Praktiken, grober Unziemlichkeiten und Blasphemie inspiziert und geschlossen wurde?«
    Ein Raunen ging durch die Zuschauer. Alys wußte nicht, ob es moralische Entrüstung über die Nonnen oder Haß gegen Stephen war. Sie schaute nicht auf, um sich Klarheit zu verschaffen.
    Lange Minuten verstrichen, bis eine Antwort kam.
    »Ich war da, als die Abtei niedergebrannt wurde«, sagte die Stimme. »Es gab keine Inspektion, es gab keine Unziemlichkeiten. Es war Brandstiftung. Ein verbrecherischer Überfall.«
    Aufgeregtes Gemurmel war aus der Menge zu hören. Der alte Lord schlug den Griff seines Ebenholzstockes auf den Tisch und schrie: »Ruhe!«
    »Das ist eine Lüge«, sagte Stephen. »Es gab eine rechtmäßige Inspektion eines faulen Nestes widernatürlicher Praktiken. Ihr seid ausgeräuchert worden wie Vipern, jawohl.«
    Schweigen.
    »Und wohin bist du gegangen, als du vor der Gerechtigkeit und Gnade geflohen bist?« fragte Stephen. »Wo warst du die letzten elf Monate?«
    »Diese Frage werde ich nicht beantworten«, sagte die heisere Stimme gelassen.
    »Diese Frage ist dir bereits unter der Folter gestellt worden«, warnte Stephen. »Du kannst noch einmal verhört werden.«
    Alys schaute nicht hoch. Die Halle war sehr still.
    »Ich weiß«, sagte die Stimme mit dem Hauch eines Seufzers. »Ich bin bereit, dort unten zu sterben.«
    Ein leises, zorniges Raunen ging durch die Menge. Alys, die sich hinter ihrem Arm versteckt hatte, lugte hervor. Sie konnte die ersten zwei Reihen Männer sehen. Es waren Hugos eigene Soldaten, aber sie rutschten unruhig auf ihren Bänken hin und her.
    »Schreib auf: Deckt Mitverschwörer«, sagte Stephen zu Alys. Alys schrieb die Worte auf die Rolle Papier.
    Stephen änderte jetzt seine Taktik. »Gab es noch andere, die in dieser Nacht vor der Gerechtigkeit geflohen sind?« fragte Stephen. »Die sich versteckt haben, so wie du
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