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Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj
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selbst. Allerdings hatte er sich auf dem Perron mehr bewegt gehabt als sie, war dem Gepäckträger entgegen gegangen und hatte ihm dann auch beim Verstauen der Koffer geholfen. Harriet Clayton lehnte in der Ecke. Clayton war langbeinig, um die Körpermitte äußerst schmal, oben erheblich breiter. Harriet blickte aus ihrer Ecke auf ihn, der noch stand. Ihr Gesicht sah keineswegs erhitzt aus, die Nase glänzte nicht im geringsten. Über dieser waren die starken Augenbrauen fast zusammengewachsen. Sie sah ihren Mann mit Vergnügen an. Er gefiel ihr. Seine sehnige Hagerkeit und außerordentliche Länge (der Sohn Donald sollte sie dereinst erben!) waren nach ihrem Geschmacke. Sie sagte nichts und bewegte sich nicht. Ihr Strohhut hing an einem der hier angebrachten Haken. So war ihr dunkelbraunes Haar ganz sichtbar, von dem sie fast abnorm viel hatte. Über ihrem Mund stand ein feiner dunkler Flaum. Als der Schnellzug sachte anfuhr und die Halle verließ, konnten sie bald etwas Zugwind erzeugen durch die offenstehende Coupetür und das dem ihren am Gange draußen gegenüberliegende Fenster. Bei rascherer Fahrt begann Harriet‘s Hut gleichmäßig zu pendeln. Es wurde fühlbar kühler und angenehmer. Clayton zog seine Pfeife und den halb aus Leder, halb aus Gummi bestehenden Tabaksbeutel hervor.
    „Das riecht heimatlich“, sagte Harriet, als er den Capstan in der Pfeife entzündete.
    Damals fuhr ein Schnellzug von Wien bis zum eigentlichen Beginn der Strecke über den Semmering nicht viel weniger als zwei Stunden. Die Gegend war öde. Sie heißt ,Das Steinfeld‘. Harriet las. Clayton hatte durch den Hotelportier eine zwei Tage alte Nummer der ,Times‘ erhalten können. Jener Hotelportier ist gewissermaßen richtungsweisend bezüglich der Reise-Route des jungen Paares gewesen. Er hieß Andreas Milohnić und war ein Dalmatiner, von der Insel Krk, der Sohn eines kroatischen Schiffskapitäns. Herr Andreas war beachtlich hübsch – Harriet sagte, sie habe sich als Schülerin die alten Römer so vorgestellt – und sprach perfekt englisch; dies hatte sein Vater, der Seemann, der es selbst gut beherrschte, ihn frühzeitig lernen lassen. Herr Milohnić junior aber konnte noch mehr, nämlich Französisch und Italienisch (freilich auch Deutsch wie sein Vater), obendrein Latein und Griechisch, denn er hatte in Agram das Gymnasium besucht und die Reifeprüfung ordnungsgemäß abgelegt: dann erst brachte er Lehrzeit und Schulen des Gastgewerbes hinter sich, aus reiner Vorliebe für diesen Berufszweig. Ein aussichtsreicher Hotelportier. Der Alte – übrigens Inhaber eines Patentes für große Fahrt und gleichwohl von seiner Jugend her einer der besten Kenner jener vor der dalmatinischen Küste liegenden Insel – und Klippenwelt, ihrer Kanäle und Durchfahrten – der Vater also nahm im höheren Alter und nach seiner Pensionierung einen seltsamen Weg. Erbsachen führten ihn nach Bregenz in Vorarlberg. Dort, am Wirtstische, gab er im Gespräch mit einem fremden Herrn von ungefähr zu erkennen, woher er komme und was er seiner Profession nach gewesen sei: eben dies aber schien den Fremden ganz gewaltig anzugehen und aufzuregen. Er machte sich bekannt – ein an der Reederei, der Schifffahrt und dem Werftbetrieb am Bodensee vielfach beteiligter Mann, dem sogar drei große Passagierdampfer gehörten – und beschwor den alten Milohnić, der ihm augenscheinlich gut gefiel, nach Bregenz zu übersiedeln. Es sei fast unmöglich, richtige Kapitäne für die Bodensee-Dampfer zu kriegen, solche aber wären für dies keineswegs immer harmlose Gewässer unbedingt erforderlich. Summa: der alte Milohnić schwamm jetzt auf dem Bodensee, und es ging ihm hervorragend gut dabei.
    Milohnić junior aber, tüchtiger Sohn eines tüchtigen Vaters hatte in Wien für Mr. und Mrs. Clayton eine Reise-Route ausgeheckt, wie sie wohl nur ein sehr eingehend des Landes Kundiger erstellen konnte. Es befanden sich innerhalb jener Route auch Ziele, von denen sogar viele Österreicher nie im Leben was gehört hatten.
    Als der Zug nach einem Halt von etwa zehn Minuten wieder in Bewegung war, merkten Clayton und Harriet bald, daß es nun bergan ging. Die Gegend war nicht mehr flach. Jenseits einer breiten Talsohle zeigten sich waldige Berge. Sie hörten die Lokomotive jetzt in zahllosen eilig-keuchenden Ausstößen den Dampf hervorpuffen. Der Zug fuhr flott. Rechter Hand, durch die offene Coupetür und das Gangfenster, war nur ein steiler Abhang zu sehen, buschig und
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