Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
hatte, mit dem Sohn eines Nachbarn oder Geschäftspartners, wie es in den wohlhabenden Konstanzer Familien üblich war. Stattdessen gab er sie einem Wildfremden, der noch kein freundliches Wort mit ihr gewechselt hatte.
    Marie ärgerte sich über ihren Kleinmut. Die meisten Mädchen wurden mit Männern verheiratet, die sie vorher kaum gekannt hatten, und wurden doch glückliche Bräute und Ehefrauen. Ihr Vater wollte nur das Beste für sie und konnte sicher auch beurteilen,ob der Magister ein geeigneter Gatte für sie war. Doch er hätte sie zumindest fragen können. Mit einem leisen Zischen stieß sie den Löffel in die Schüssel und bearbeitete den Teig, als wäre er ihr Feind.
    Elsa hatte sie beobachtet und lachte plötzlich auf. »Du sehnst dich wohl schon danach, das Brautbett mit dem hohen Herrn zu teilen. Aber sei nicht zu enttäuscht. Beim ersten Mal ist es nicht schön. Es tut nur weh, und man blutet fürchterlich.«
    Marie sah sie verwirrt an. »Woher willst du das wissen?«
    Elsa kicherte jedoch nur und wandte sich ab. Marie konnte nicht ahnen, dass sie aus eigener Erfahrung sprach. Kurz nach ihrem fünfzehnten Geburtstag war sie einem Nachbarsjungen ins Gebüsch gefolgt und bereute es immer noch. Ihre Schwester war klüger gewesen, denn sie hatte sich mit dem Vater des Jungen eingelassen und dafür ein hübsches Schmuckstück erhalten, welches sie in ein Tuch eingewickelt in ihrem Strohsack verbarg, um es für ihre Mitgift aufzubewahren.
    Anne warf ihrer Schwester einen spöttischen Blick zu und winkte ab. »Das Ganze ist halb so schlimm, Marie. Lass dir von Elsa keine Angst einjagen. Der Schmerz ist schnell vergessen, und bald wird es dir Freude machen, wenn dein Mann zu dir unter die Bettdecke schlüpft.«
    Elsa zog einen Flunsch. »Solche gelehrte Herren wie Magister Ruppertus sind sehr anspruchsvoll. Denen reicht es nicht, es in einem dunklen Raum unter der Decke zu treiben. Ich habe da Dinge gehört, sage ich dir …«
    Ihre Ausführungen wurden abrupt unterbrochen, denn jemand rumpelte gegen die Haustür.
    »Wer mag um die Zeit noch etwas von uns wollen?«, fragte Anne gähnend und drehte dem Geräusch unwillig den Rücken zu.
    Da die Mägde sitzen blieben und Marie den Teig nicht stehen lassen durfte, öffnete niemand dem unbekannten Besucher. Der trat verärgert gegen die Tür, so dass das Holz krachte, und kurzdarauf erscholl Winas zornige Stimme. »Elsa! Anne! Was macht ihr faules Gesindel? Geht endlich zur Tür und seht nach, wer da ist.«
    Die beiden Schwestern sahen sich auffordernd an. Wie meistens verlor Elsa das lautlose Duell und ging mit mürrischem Gesicht hinaus. Kurz darauf kam sie mit einem jungen Burschen zurück, der unter einem großen Fass schwankte. Es war Michel Adler, dessen Vater Guntram am Ende der Gasse eine Bierschenke betrieb.
    Er stellte das Fass auf den Tisch und atmete erleichtert auf. »Guten Abend. Ich bringe das Hochzeitsbier.«
    Elsa fauchte wie ein kleines Kätzchen. »Hätte das nicht Zeit bis morgen früh gehabt? Jetzt müssen Anne und ich das schwere Fass in den Vorratskeller bringen.«
    Ihre Schwester schenkte dem jungen Mann ein Lächeln, das, wie sie annahm, Eis zum Schmelzen gebracht hätte. »Michel ist doch kein unhöflicher Stoffel, der uns schwache Mädchen so ein schweres Ding schleppen lässt. Nicht wahr, Michel? Du bist so lieb und trägst das Fass hinunter.«
    Michel verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte abwehrend den Kopf. »Das ist nicht meine Aufgabe. Ich sollte das Fass nur herüberbringen.«
    »Was ist denn in dich gefahren? Sonst warst du doch immer hilfsbereit. Willst du deinen dummen Brüdern nacheifern?«
    Anne warf dem Wirtssohn einen wütenden Blick zu und forderte ihre Schwester auf, mit anzufassen. Die beiden Mägde hoben das Fass auf und trugen es unter viel Ächzen und Stöhnen die enge Treppe zum Vorratskeller hinab. Marie hörte noch, wie sie die Falltür hinter sich schlossen, dann war sie mit Michel allein.
    »Liebst du ihn?«
    Die Frage ihres früheren Spielgefährten kam so unerwartet, dass Marie sie im ersten Augenblick nicht begriff. Verblüfft sah sie ihn an. Trotz seiner Sonnenbräune wirkte er bleich, und er biss dieZähne so heftig zusammen, dass sich seine Kiefermuskeln wie Knoten unter der Haut abzeichneten.
    Michel war etwa drei Jahre älter als sie und der einzige Junge gewesen, der ihre hartnäckige Begleitung geduldet hatte. Er hatte ihr erlaubt, ihm beim Angeln zuzusehen, gelegentlich Verstecken mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher