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Die Wand

Titel: Die Wand
Autoren: Marlen Haushofer
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schreit, wohl vieles gelehrt hatte, aber nie das Glück. Als es nicht zu haben war, entfremdete sie sich sehr bald der Welt: eine Hoffende ohne Hoffnung, früh Verzicht übend, den Sicherheitsabstand zu Menschen ständig vergrößernd, in einem Leben, das der Poesie entbehrte. Lediglich in ihrem Werk war sie zu Hause, in Szenen von einprägsamer Originalität, leidenschaftlicher Wahrheit und enthüllender Evidenz, so daß man meinen könnte, sie sei plötzlich unter ihre Figuren getreten, um zu töten oder sich selbst zu opfern.
     
    Das ewige Motiv der Marlen Haushofer kreist um die Entdeckung der Dinge, die in ihrer reinsten Form nur in der Erinnerung gemacht werden kann. Für sie war Kunst, soweit sie hohen Wert besaß, auch und gerade Retrospektive auf die Kindheit. Wie die ihre war, ist nachzulesen im Roman ›Himmel, der nirgendwo endet‹, der so beginnt: »Das kleine Mädchen, von den Großen ›Meta‹ genannt, sitzt auf dem Grund des alten Regenfasses und schaut in den Himmel. Der Himmel ist blau und sehr tief. Manchmal treibt etwas Weißes über dieses Stückchen Blau, und das ist eine Wolke. Meta liebt das Wort Wolke. Wolke ist etwas Rundes, Fröhliches und Leichtes ...«
    Die kleine Rebellin mit »Elektrakomplex« entwickelt sich in diesem mit freundlicher Ironie verfaßten Psychogrammeiner Familie zu einer Frau von Format. Ein schwärmerisches Buch mit naiven, unbeschädigten, farbenfrohen Bildern aus der Jugend der Autorin, gerettet vor der fortschreitenden Zerstörung, zumindest auf dem Papier. Sie schätzte das Einfache, Unverfälschte. Marlen Haushofer war der Harmonie, die ihr versagt blieb, dringend bedürftig. Unstillbar muß ihr Hunger gewesen sein, nach Zuneigung, ehe sie sich an den Zustand gewöhnte. Selbst von ihren guten Freunden, mit denen sie sich im Café Raimund traf, wenn sie – ganz selten – nach Wien kam, trennte sie oft eine Wand, das Wissen um die Unmöglichkeit von Nähe. Die Liebe, zu der wir uns befähigen können, hielt sie für unsere vernünftigste Regung. Daß sie sich selbst ganz angenommen hat, ist wenig glaublich.
    Nicht in ihrer Haut, sondern in der Natur, die ihr zur schützenden Heimat wurde, konnte sie frei sein, und in ihren Texten, mit denen sie vorwiegend sich selbst bewies, daß sie kein Nichts ist. Sie klagte kaum und war der Meinung, wahres Unglück dulde kein Pathos. Es komme eben wie Wind und Regen. Vermutlich schrieb sie, weil sie so, wie sie sein wollte, nicht werden durfte. Deshalb ging sie in die innere Emigration, lebte ihr eigentliches Leben in ihrer Literatur, in der sie litt, mehr als im Leben draußen, für die andern, aber auch an sich. Ihre emotionale Distanz, ihre geistige Skepsis – bei optimistischem Handeln – hatten nichts gemein mit der modischen Attitüde von Leuten, zu deren Berufsausstattung Kritik gehört. Sie rührten aus tiefempfundener existentieller Not, waren eine Art Ausgeliefertsein. Das wieder resultierte aus nie verwundenen Vertrauensverlusten und frühen privaten Erschütterungen.
    Marie Helene Frauendorfer wurde 1920 im oberösterreichischen Frauenstein geboren. Ihre Mutter war Kammerzofebei einer Hocharistokratin, der Vater Revierförster. Mit zehn Jahren schickten die Eltern die Tochter in die Internatschule der Ursulinenschwestern nach Linz: 1939 Abitur. Eine Biographie der Glätte, bis dahin. Großwerden und Geborgensein; im Rücken die Berge und vor sich weite Wälder. Eine ideale Prämisse für einen jungen Menschen – oder doch wieder nur Ausstattungsidylle wegen der klösterlichen Rigidität, der dörflichen Enge und antiquierter Moral ? Der Landstrich hat immerhin eine signifikante Selbstmordrate.
    1939 leistete Marlen Haushofer ihren Arbeitsdienst in Ostpreußen. Danach studierte sie ein paar Semester Germanistik, zunächst in Wien, später in Graz. Sie heiratet einen Zahnarzt, zieht zwei Söhne groß und hilft in der Praxis mit. Steyr wird fortan ihr Wohnort sein. Aufgehoben war sie jedoch weiterhin in ihren Gedanken und Geschichten, zuerst abgedruckt in Gazetten. 1952 veröffentlicht der Jungbrunnen-Verlag ihre Novelle ›Das fünfte Jahr‹, für die sie mit dem Staatlichen Förderungspreis für Literatur ausgezeichnet wird. Einige Jugendbücher entstehen, drei davon zählen zum Besten, was das Genre zu bieten hat. Eins trägt den Titel ›Schlimmsein ist auch kein Vergnügen‹ und lobt die Stärke der vermeintlich Schwachen. Sie schreibt jetzt nicht mehr nur, um Geld zu verdienen oder für ihr Publikum,
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