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Die Wand

Titel: Die Wand
Autoren: Marlen Haushofer
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sondern weil dies ihre Bestimmung ist, aber auch gegen ihren Mann, dem sie demonstriert, daß als »Autorin tätig sein kein Hobby ist wie Häkeln«. 1950 wird sie geschieden, acht Jahre danach geht sie mit demselben Partner erneut eine Ehe ein, den Ausgang aus den ihr eingeimpften Schuldgefühlen verfehlend, verletzt und in Verwirrung gestürzt. Ihre Verfassung fortan – die der Notverordnungen.
    Die Fesseln der Familie, die Eintönigkeit des Alltags, frostige Kälte durchaus wohlgesonnener Kleinbürger, dieeigene Unzulänglichkeit ebenso wie die von Dritten – all dies soll in einem Band aufgezeichnet gewesen sein, den sie vernichtet hat, »denn ich sehe sehr scharf und will niemandem weh tun«. Notiert waren darin sicher auch die kompromißlosen Formeln von der »Begegnung mit dem eigenen Ich« und die Ahnung, an einen Punkt getrieben worden zu sein, »wo man sich entweder erneuert oder aber selber auslöscht«.
    Entschieden hat sie sich in dieser verzweifelten Lage fürs Weiterarbeiten, fürs Aufspüren geheimster, vielleicht niemals zu entschlüsselnder Wünsche ; sie registriert das Irrationale als einen wesentlichen Faktor des Geschehens, die Rudimente von Dämonie in uns, und belegt das Wahnhafte in der Normalität. Dabei huldigt sie dem weisen Prinzip: nichts mehr belächeln, nichts beweinen, keinen verdammen, nur noch erkennen, also unbestechlicher Chronist sein. Zu diesem Behufe war sie da. Wie sonst hätte sie auf die Frage, ob die Welt durch Worte verändert werden könne, zwar zögernd und einschränkend, aber immerhin doch ja sagen können?
    So als stünde ihr nur noch wenig Zeit zur Verfügung, widmete sie sich in der Folge fieberhaft ihren Stoffen: Entliehen sind sie dem Psychodrom, mit seinen Seelenrevuen, den Verdrängungsakrobaten, den vielfältigen Machtkämpfen. Die Männer, bis auf die Betagten, schneiden dabei schlecht ab. Nacheinander schrieb sie die Romane ›Eine Handvoll Leben‹ und ›Die Tapetentür‹, außerdem Hörspiele sowie die Meisternovelle ›Wir töten Stella‹. Die geschilderten Schicksale sind zumeist Regelfälle, eher von geringem allgemeinem Interesse, das erst geweckt wird durch ihren unnachahmlichen Stil, diesen magischen Realismus, der seinesgleichen nicht hat, sowie die Präzision ihres Intellekts, ihre Selbsterfahrungen, und die Demut gegenüber der Einmaligkeit des jeweils anderen. Erfassenmöchte sie den Menschen ganz, das heißt nicht weniger als den ganzen Menschen, im Lichte seiner Finsternis.
    Wichtig für sie wurde nun ausschließlich die Vollendung ihres »Stock«-Werkes, baut doch ein Buch auf dem anderen auf. Marlen Haushofer, dabei noch einsamer als zuvor, kann jetzt das Alleinsein eher ertragen, nachdem sie sich abschirmt gegen die Illusionen jener in der Familie, die nur fordern von ihr. In der Heiterkeit fielen ihr düstere Geschichten ein, in der Bedrückung Humoresken. Allmählich wechselte sie in das Reich, das sie sich in einem Roman schafft, der in die Galerie der Klassiker eingereiht werden muß, ob seiner bezwingenden Sprache, seiner atemlosen Spannung, seiner richtigen Psychologie. Ein tapferer, ehrlicher, bis ins Detail durchkomponierter Text, der von den eigenen Möglichkeiten berichtet, die sich nicht verwirklicht haben, und der dem Publikum Augen und Poren öffnet über die heutige Welt: eine Symphonie der uns allmählich erfassenden Angst. Als sie ›Die Wand‹ beendet hat, übereignet sie das Manuskript ihrem Mentor Hans Weigel mit der Bitte um ein Urteil und der ihrem Charakter adäquaten Bemerkung: »Hier eine Katzengeschichte.«
     
    Robinson ist in diesem Roman weiblich. Zitat: »Wenn ich jetzt an die Frau denke, die ich einmal war, ehe die Wand in mein Leben trat, erkenne ich mich nicht in ihr. Aber auch die Frau, die auf dem Kalender vermerkte, am zehnten Mai Inventur, ist mir sehr fremd geworden. Es war ganz vernünftig von ihr, Notizen zu hinterlassen, daß ich sie in der Erinnerung zu neuem Leben erwecken kann. Es fällt mir auf, daß ich meinen Namen nicht niedergeschrieben habe. Ich hatte ihn schon fast vergessen, und dabei soll es auch bleiben. Niemand nennt mich mit diesem Namen . . . Ich möchte auch nicht, daß er eines Tages in den Illustrierten der Sieger erscheint . . .«
    Die Namenlosigkeit dieser Protagonistin, die ausbricht aus einem Leben, das nicht lebendig ist, kann benannt werden: Sie heißt Identitätskrise und kommt unter anderem aus den vorherrschenden Verhältnissen, die eben so sind, daß wir, sofern wir
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