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Die Wand

Titel: Die Wand
Autoren: Marlen Haushofer
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es so ist, müßte nach meinem Bauernkalender das Kalb Ende März geboren werden. Bella ist nicht auffallend dick, aber doch dicker, als daß ich es nur auf das gute Heu zurückführen könnte. Noch vor vier Wochen wagte ich nicht zu hoffen, ich bin auch heute noch im Zweifel, vielleicht rede ich mir nur Dinge ein, die ich mir eben sehr wünsche. Ich muß warten und Geduld haben.
    Damals auf der Alm quälte mich die Unsicherheit noch viel mehr. Es war so wichtig für mich, daß Bella ein Kalb bekam. Anders hätte ich sehr bald für zwei völlig nutzlose Tiere schwer arbeiten müssen, die zu töten ich nicht fähig gewesen wäre. Nur Bella schien sich nicht die geringsten Sorgen über unsere Zukunft zu machen, Es war eine Freude, sie zu beobachten. Sie hatte die Führerrolle beibehalten. Wenn Stier zu übermütig wurde, wies sie ihn mit Kopfstößen zurecht, und er fügte sich und entfernte sich nie weit von seiner zierlichen Mutter-Gattin. Das beruhigte mich sehr, denn ich wußte, Bella war vernünftig und ich konnte mich auf sie verlassen. Die Vernunft saß bei ihr im ganzen Leib und ließ sie immer das Richtige tun. Luchs liebte es ohnedies nicht, den Hirtenhund zu spielen, und tat es nur, wenn ich es ausdrücklich befahl. Ich wollte mich in der Zeit bis zurHeuernte ein wenig erholen. Ich spürte ja noch deutlich die Folgen der Krankheit. Ich aß genug, war viel an der frischen Luft und schlief traumlos.
    Am ersten Juli, es steht auf dem Kalender vermerkt, konnte ich zum erstenmal wieder ganz tief atmen. Die letzte Behinderung war gefallen, und ich merkte erst jetzt, wie sehr mich die Kurzatmigkeit gequält hatte, auch wenn ich sie nicht beachtet hatte. Eine Stunde fühlte ich mich wie neugeboren, dann konnte ich mir nicht vorstellen, daß es jemals anders gewesen war. In wenigen Wochen mußte ich mit der Heuernte beginnen, und es war wichtig für mich, auf der steilen Bergwiese richtig atmen zu können.
    Am zweiten Juli ging ich ins Tal, um die Erdäpfel zu jäten. Es hatte geregnet, und das Unkraut war stärker gewuchert als im vergangenen trockenen Sommer. Ich arbeitete den ganzen Vormittag auf dem Acker. In der Hütte hatte ich die vertraute Mulde auf dem Bett gefunden, aber ich wußte nicht, wie alt sie schon war. Ich strich die Decke glatt, füllte den Rucksack mit Erdäpfeln und stieg wieder zu Berg. Mitte Juli unternahm ich einen zweiten Ausflug und besichtigte die Bachwiese. Das Gras stand hoch und viel saftiger als im Vorjahr. Der Sommer war veränderlich; Regen und warme Tage folgten in raschem Wechsel aufeinander. Es war ein wunderbares Wetter für alles, was wachsen und grünen sollte. Da mir noch Zeit blieb, fing ich drei Forellen und briet sie im Jagdhaus. Gerne hätte ich eine davon für die Katze zurückgelassen, aber ich wußte, sie würde in meiner Abwesenheit nichts berühren, schlau und mißtrauisch, wie sie war. Ich wollte den zunehmenden Mond abwarten, der vielleicht etwas beständigeres Wetter bringen würde. Außerdem beschloß ich, mir die Arbeit in diesem Jahr etwas leichter zu machen. Da Bella nurwenig Milch hatte, brauchte sie nur einmal am Tag gemolken zu werden, und ich konnte im Jagdhaus übernachten und ausgeruht im ersten Frühlicht mit dem Mähen beginnen.
    Ende Juli war es dann soweit. Ich molk Bella und sperrte sie und Stier in den Stall. Sie waren nicht erfreut darüber, aber ich konnte ihnen nicht helfen. Ich versorgte sie gut mit Gras und Wasser und stieg mit Luchs ins Tal. Um acht Uhr abends kam ich im Jagdhaus an, aß ein kaltes Abendbrot und legte mich gleich nieder, um am Morgen frisch zu sein. Da ich den Wecker nicht mehr hatte, mußte ich mich auf meine Kopfuhr verlassen. Ich stellte mir groß und deutlich die Ziffer vier vor und konnte sicher sein, um vier Uhr zu erwachen. Damals war ich schon sehr geübt in diesen Dingen.
    Ich wurde aber schon um drei Uhr wach, weil die Katze auf mein Bett sprang und mich freudig begrüßte. Sie schwankte zwischen anklagenden Vorwürfen und Zärtlichkeit. Ich war völlig wach, blieb aber noch ein wenig im Bett liegen, und die Katze schmiegte sich schnurrend an meine Beine. Ich glaube, für eine halbe Stunde waren wir beide zufrieden mit dem Leben. Um halb vier stand ich auf und bereitete im Licht der Lampe, das ich auf der Alm jeden Abend vermißte, mein Frühstück. Die Katze kroch unter die Decke und schlief weiter. Ich ließ ihr ein wenig gebratenes Fleisch zurück und dann, nachdem ich selbst gefrühstückt und auch Luchs
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