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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators
Autoren: Massimo Carlotto
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Belli zog mich an. Es schien genau der richtige Schlupfwinkel für einen Flüchtigen. An einer Telefonzelle hielt ich an, und bevor ich ausstieg, zog ich unter dem Fahrersitz das Telefonbuch hervor. Belli, Piera Belli … Via Torlonga, 29 … 8700392.
    Ich ließ es ungefähr zwanzig Mal klingeln, niemand hob ab.
    Nach zwei weiteren Versuchen beschloß ich, nach Hause zu gehen. Es war Mittagszeit.
    Ich begnügte mich mit einer Pastasciutta, die Hitze war zu drückend, um noch ein Hauptgericht zu kochen. Es gelang mir gerade noch, die mit Sugo verschmierten Teller und Töpfe vom Tisch ins Spülbecken zu räumen, dann streckte ich mich faul auf dem Sofa aus, genau unter dem großen Flügelventilator, das Telefon in Reichweite.
    Bei Belli hob nie jemand ab. So verbrachte ich den Nachmittag, zwischen einem Versuch und dem nächsten, döste, schlürfte ein paar Erfrischungsgetränke und hörte alte Platten von Hound Dog Taylor und The Houserockers. Ich erinnere mich, daß ich an einem bestimmten Punkt träumte, ich geh auf dem Dach spazieren, und mit einem Ruck wachte ich auf, als ich dabei war, ins Leere zu fallen.
    Es war schon tief in der Nacht, als ich beschloß, daß es Zeit war, mir die Sache näher anzusehen.
    Nummer 29 war das einzige Haus, das völlig im Dunkeln lag.
    Das Eckfenster stand noch immer offen.
    Ich läutete. Ich hörte die Klingel deutlich, obwohl rund zehn Meter Rasen zwischen dem Gartentor und der Haustür lagen.
    Keiner antwortete. Ich ging zur Einfahrt hinüber, und hinter den Gitterstäben sah ich weiter hinten unter einem Schutzdach den metallicfarbenen Golf.
    Ich versuchte die Klinke herunterzudrücken, und das große Tor ließ sich problemlos öffnen. Ich durchquerte den Garten und erreichte die Haustür. Da bemerkte ich, daß sie nur angelehnt war. Mit sanftem Druck stieß ich sie ganz auf. Der Geruch schlug mir ins Gesicht, als ob mir hinter der Tür einer mit einem Gummiknüppel aufgelauert hätte. Ich taumelte, und nur mit Mühe konnte ich einen heftigen Brechreiz beherrschen. Noch nie hatte ich etwas derartiges gerochen, aber es verlangte nicht viel Vorstellungskraft, um zu begreifen, worum es sich dabei handelte.
    Die Tür wieder zu schließen und zu gehen, wäre das Vernünftigste gewesen, aber die Neugier hielt mich zurück, und so begann ich, nachdem ich die Tür wieder angelehnt und im Eingang Licht gemacht hatte, das Haus zu erforschen. Dem ekelerregenden Gestank folgend, stieg ich die Treppe hinauf und befand mich auf der Schwelle zu dem Zimmer mit dem offenen Fenster.
    Der Gestank hinderte mich daran einzutreten. Ich flüchtete ins Bad, wo ich hektisch in den Schränkchen herumzuwühlen begann, bis ich auf ein Fläschchen mit Parfüm stieß. Ich tränkte ein Taschentuch reichlich damit, um es mir dann knapp unter den Augen straff vors Gesicht zu binden. Auf dem Weg zum Zimmer fragte ich mich, wie es möglich gewesen war, daß die Nachbarn diesen höllischen Gestank nicht bemerkt hatten. Aber anscheinend war es so, denn wenn sie ihn bemerkt hätten, da war ich mir sicher, hätten sie bestimmt sofort Alarm gegeben.
    Vorsichtig näherte ich mich dem offenen Fenster, durch das schwach das Licht von der Straßenbeleuchtung hereinfiel. Ich warf einen Blick hinaus. Na klar! Sie hatten eine Klimaanlage angebracht, die wirkte als Filter und hatte sie von allem abgeschirmt, was draußen vor sich ging.
    Auf die Leiche war ich noch nicht gestoßen. Ich mußte Licht machen. Ich schloß das Fenster und zog die Vorhänge zu. Tastend fand ich den Lichtschalter. O Gott, die Fingerabdrücke, die ich überall hinterließ! Mit einem Papiertaschentuch wischte ich die Flächen ab, die ich berührt hatte, kehrte sofort zurück ins Bad und beseitigte auch dort mögliche Spuren meiner Anwesenheit.
    Schließlich kehrte ich in das Zimmer zurück. Sie lag auf dem Boden, auf dem Rücken. Sie trug ein Paar Ballerinaschuhe aus rotem Lack, der letzte Schrei der Sommermode. Eine Frau, deren Gesicht und Körper ich zum größten Teil nicht sehen konnte, da sie von drei großen, weichen Kissen bedeckt waren. Bezogen mit leuchtendgrünem Samt.
    Ich ließ den Blick von den Beinen aus an der rechten Körperseite hinaufgleiten, und da kam unter dem Kissen ein nackter Arm zum Vorschein, der genau im rechten Winkel vom Rumpf abstand, die Hand zur Faust geballt. Genau symmetrisch dazu die Position des anderen Arms und der linken Hand. Sie wirkte wie gekreuzigt.
    Am Handgelenk trug sie eine kleine stählerne Rolex. Ich
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