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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators
Autoren: Massimo Carlotto
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davongingen, drehte Mazinga sich noch einmal um. »Kennst du Carrara? Das ist einer hier aus Padua, der war vor ein paar Monaten mit dem Freigang fertig. Er war sehr eng mit Magagnin befreundet«, er machte die Geste von einem, der sich die Spritze gibt, »vielleicht weiß er, wer die Frau ist.«

    Mariette Carrara, eine Drogenkarriere wie viele andere. Beschaffungsdiebstahl, immer wieder rein und raus aus dem Knast, einer der wenigen aus seiner Fixer-Generation, die überlebt haben. Ich hatte ihn schnell gefunden. Aus der Innenstadt vertrieben, hielten sich die Drogensüchtigen jetzt alle in Prato della Valle auf – auf »dem größten Platz Europas«, wie es in sämtlichen Reiseführern der Stadt hieß –, verbannt auf den Raum zwischen Polizeipräsidium und Carabinieri-Hauptquartier. Stets bereit für die Festnahme, die Abschiebung in den Knast oder die therapeutische Gemeinschaft.
    Marietto saß am Tisch einer Bar in unmittelbarer Nähe des früheren Viehmarkts und sprach mit der Tochter des Pächters. »Oh, der Alligator höchstpersönlich.«
    »Ciao, Marietto. Wie immer spritzig und munter, was?«
    »Aber klar doch! Gibst du mir was Knete?«
    »Ja, aber nicht umsonst.«
    »Du kommst zu spät: Huren gibt’s bei mir nicht mehr, seitdem ich HIV-positiv bin.«
    »Keine Huren«, antwortete ich, und sah mich dabei etwas verlegen um, »nur ein Bruchteil von deinem Gedächtnis. Komm, laß uns eine Runde drehen.«
    Ich ließ ihn in den Wagen einsteigen und begann, durch die Straßen zu kurven, die vom Prato bis zur Basilika des Stadtheiligen führen. Nach einer Weile fragte ich ihn: »Wo ist Alberto Magagnin?«
    »Er ist abgehauen. Im Milieu hat sich die Nachricht schon herumgesprochen.«
    »Marietto, ich bin nicht zu dir gekommen, um zu hören, was ich ohnehin schon weiß«, erwiderte ich geduldig. »Also, wo steckt er jetzt? Ich geb dir einen Hunderter.«
    »Es ist schon ein Weilchen her, daß ich hundert Mäuse auf einmal gesehen hab. Aber ich weiß nicht, wo Alberto ist. Frag mich was anderes.«
    »Versuchen wir’s anders rum: Kannst du mir sagen, wer die Frau ist, die ihn in einem metallicfarbenen Golf bei der Kooperative abholen kam?«
    »Ich weiß, wo sie wohnt, sonst nichts. Einmal habe ich Alberto begleitet. Er sagte mir, sie wär’ eine Spinnerin, die ihm einen Haufen Geld gibt. Der Glückliche.«
    »Fixt Alberto noch?«
    »Na ja, damals setzte er sich ab und zu einen Schuß. Er hatte sich im Griff, er wollte ohne Scherereien mit dem Knast fertig werden.«
    »Scherereien hat er jetzt jedenfalls mehr als genug. Wer war sein Dealer?«
    »Bepi Baldan, der aus der Via Savonarola.«
    »Den kenne ich. Was meinst du, wenn Magagnin jetzt wieder angefangen hätte, im großen Stil zu fixen, würde er sich an ihn wenden?«
    »Ja, er ist zu lange raus aus dem Geschäft, um andere zu kennen. Ich habe ihn mit ihm bekannt gemacht.«
    »Eine wirklich gute Tat, Marietto«, erwiderte ich sarkastisch.
    »Komm, zeig mir dieses Haus.«

    Es war ein hübsches zweistöckiges Häuschen mit Garten am Rand des Sacra Famiglia-Viertels, ähnlich wie viele andere, die auch vor rund dreißig Jahren erbaut worden sind. Eine ruhige, baumgesäumte Straße. Bestimmt keine Reichengegend. Mazinga mußte sich bei der Einschätzung der Vermögensverhältnisse der Frau geirrt haben.
    Ich parkte ungefähr hundert Meter weiter vorn und ging zu Fuß auf das Haus zu, Carraro hatte ich eingeschärft, er solle sich nicht vom Fleck rühren. Ich gelangte auf die Höhe der Klingel und verlangsamte den Schritt unmerklich, gerade genug, um auf dem Klingelschild lesen zu können: Prof. Piera Belli. Ich setzte meinen Spaziergang bis ans Ende der Straße fort, überquerte sie und machte auf dem gegenüberliegenden Gehsteig kehrt. Als ich wieder in Höhe des Häuschens angelangt war, hielt ich an und band mir einen Schuh, dabei schaute ich zu den Fenstern hinauf. Ich bemerkte, daß sie alle geschlossen waren, außer einem Eckfenster, das auf den Garten des Nachbarhauses ging.
    Ich stieg wieder zu Marietto in den Wagen und brachte ihn zu seiner Bar zurück. Als ich ihm den Hunderttausend-Lire-Schein gab, begann er ihn in den Händen herumzudrehen. Zum Schluß sagte er: »Danke, Alligator, danke. Damit kauf ich mir ’ne ganze Menge Stoff.«
    »Mach, was du willst.«
    Als er sich entfernte, rief ich ihm vom Fenster aus nach: »He Marietto, bist du wirklich HIV-positiv?«
    »Ja.«
    Ich legte den ersten Gang ein und sah geradeaus vor mich hin.
    Das Haus der
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