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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators
Autoren: Massimo Carlotto
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Anwalt. Diese starke Anteilnahme bedeutete, daß ich es mit einer recht ungewöhnlichen Situation zu tun hatte.
    »Das ist nicht mein Metier, ich mache keine Flüchtigen ausfindig. Anwalt Secchi hat Sie schlecht beraten.«
    »Das glaube ich nicht. Er wußte, daß Sie ablehnen würden und hat mir geraten, Ihnen diesen Zettel zu übergeben.« Ich öffnete den Umschlag unter dem Tisch. Ich las: »Du schuldest mir einen Gefallen.«
    »Ich nehme an, Rechtsanwalt Secchi hat Ihnen auch von meinen Tarifen erzählt«, knurrte ich ziemlich gereizt, als ich sie wieder ansah.
    »Natürlich, das ist kein Problem. Nehmen Sie den Auftrag an?«
    »Ja, das scheint mir selbstverständlich. Ich brauche aber ein Foto.« Ich zündete mir eine Zigarette an. »Möglichst jüngeren Datums.«
    Sie zog eine blaue Mappe aus ihrer Tasche. »Ich kann Ihnen nur Zeitungsausschnitte mit den Prozeßberichten geben. Hier, da sind auch einige Fotos dabei, aber sie sind vor fünfzehn Jahren gemacht worden.«
    »Geben Sie her, sie können mir auf jeden Fall nützlich sein. Eine letzte Frage: Haben Sie die leiseste Idee, wo er sein könnte?«
    »Nein, ich fürchte aber, daß er wieder angefangen hat, Drogen zu nehmen, und ich schließe nicht aus, daß das der Grund für seine Flucht ist. Also dürfte er nicht sehr weit weg sein.«
    »Sobald ich etwas weiß, rufe ich Sie an.«
    Sie gab mir ihre Visitenkarte. »Da ist auch die Nummer vom Handy drauf, Sie können mich jederzeit anrufen. In der Mappe«, sie wies mit dem Kinn darauf, »finden Sie ein Kuvert mit der Anzahlung. In bar natürlich.«
    Sie stand auf und drückte mir die Hand. Ich folgte ihr mit den Augen, während sie hinausging. Erleichtert dachte ich, daß ich alles in allem schnell davongekommen war. Ich konnte noch einen großen Teil des Konzerts genießen. Copper hatte eben mit Everything gonna be alright von Muddy Waters angefangen. Schade nur, daß nicht Mojo Buford die Harmonika spielte.

    Am nächsten Tag stand ich kurz vor sechs auf. Mir blieb knapp eine Stunde, um an die Gefängnistore zu gelangen, bevor die Freigänger herauskamen. Einen alten Bekannten aus Knastzeiten anzusprechen, war der schnellste Weg, um an Informationen über das Verschwinden Magagnins zu kommen. Sonst hätte ich auf jemand aus meinem derzeitigen Kreis zurückgreifen müssen; in dem Fall hätte ich aber bis zur ersten Kontaktaufnahme zu lange warten müssen.
    Ich parkte an einer Stelle, von der aus man einen guten Überblick hatte und die gleichzeitig nicht zu exponiert war, damit die Wachposten nicht auf mich aufmerksam wurden. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, daß ich seit drei Jahren bei diesem Ritual fehlte. Es war vielleicht besser, sich eine Zigarette anzuzünden. Ich pfefferte das Feuerzeug ziemlich geräuschvoll auf die Ablagefläche des Armaturenbretts. Sie kamen wie immer im Gänsemarsch heraus, mit raschen und nervösen Schritten, wie Menschen, die sich so schnell wie möglich davonmachen wollen. Ein paar, die in meinem Trakt gewesen waren, erkannte ich wieder; als sie näherkamen, stieg ich aus. »He, Buratti«, rief der erste, »Heimweh nach dem Knast?«
    »Ciao, Morabito, ich bin gekommen, um mit dir und Mazinga zu reden.«
    Dem Ritual entsprechend, mußte ich sie zunächst umarmen und dann küssen. Morabito war ein Kalabrier, der wegen Entführung saß, und Mazinga ein Dealer aus Bozen mit unaussprechlichem deutschem Nachnamen. Zwei alte Knastbrüder, die schon wußten, weswegen ich da war. »Wir wissen nichts«, erklärte der Krautfresser, ohne meine Frage abzuwarten. »Magagnin hat mit uns beim Pfarrer in der Kooperative gearbeitet; er ist um sieben Uhr abends weg, wie üblich, und nicht wiedergekommen. So ’n Arsch, es fehlte ihm nicht mehr viel.«
    »Ihr wißt nicht, wohin er gewöhnlich zwischen sechs und zehn Uhr abends ging?«
    »Wer weiß das schon. Eine Frau holte ihn meistens am Ausgang ab. Mit einem metallicfarbenen Golf.«
    »Kennt ihr sie?«
    »Nein. Aber bestimmt über vierzig. Älter als Alberto … nicht aus dem Milieu, eine ›Reguläre‹.«
    »Die sah aus wie eine typische Angestellte, machte aber den Eindruck von einer mit ordentlich viel Knete«, bestätigte Mazinga.
    »Hat sie ihn an dem Tag, als er verschwunden ist, auch abgeholt?«
    »Nein«, antwortete Morabito. »Alberto ist zu Fuß weggegangen.«
    »Irgendeine Idee wohin?« fragte ich noch, wobei ich sie abwechselnd ansah.
    Beide beschränkten sich auf ein entschiedenes Kopfschütteln. Während sie zur Bushaltestelle
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