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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus
Autoren: Wolfgang Jeschke
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wurde, um alternative Verfahrensweisen zu diskutieren, nicht aber, um als Plattform für Demagogie zu dienen.«
    Ein lauter Rülpser von Dumbo quittierte diese Mahnung, aber Sherlock ließ ihn unbeachtet.
    »Nun, gibt es noch andere Wortmeldungen, bevor ich Mickys Antrag zur Abstimmung stelle?«
    Stille breitete sich aus. Mickymaus blickte finster in die Runde. Alle rückten nervös auf den Plätzen und blickten erwartungsvoll umher. Alle waren neugierig, ob jemand es wagen würde, Mickymaus zu widersprechen.
    Stille.
    »Nun«, sagte Sherlock Holmes und nahm den Hammer vom Tisch, »ich stelle fest, daß es keine weiteren Wortmeldungen gibt. Also schreiten wir nun zur …«
    »Quak.«
    Sherlock Holmes hielt inne. »War das eine Wortmeldung?«
    Donald Duck stand auf. »Ich sagte, ›quak‹, was für meinesgleichen ein angemessenes Geräusch ist. Da es keine anderen Sprecher zu geben scheint, würde ich gern ein paar Worte hinzufügen, bevor die Diskussion abgeschlossen wird. Darf ich sprechen, Herr Vorsitzender?«
    Erwartungsvolles Gemurmel ging durch die Reihen der Figuren.
    Sherlock Holmes schlug einmal mit dem Hammer zu. »Selbstverständlich dürfen Sie sprechen. Bitte treten Sie vor. Das Rednerpult gehört Ihnen.«
    Donald Duck reckte sich, schüttelte das Gefieder und watschelte zum Rednerpult.
    »Kameraden! Leidensgenossen der Erfindung und des Gespötts.« Dumbo ließ einen weiteren Rülpser los. »Ich stehe heute in einer ungewohnten Rolle vor euch. Normalerweise bin ich ein lustiger Bursche. Ich versuche, alle mit meiner Tolpatschigkeit zum Lachen zu bringen … huch!«
    Donald Duck glitt auf einer imaginären Bananenschale aus, und sein Hut flog ihm vom Kopf und fiel ihm über ein Auge. Alle schrien vor Lachen. Donald Duck faßte sie wieder ins Auge.
    »Ihr findet das komisch? Nun, wie wäre es damit? Schaunummer Enttäuschung Wut. Ihr kennt sie. Geht so.«
    Erst verfärbte sich Donald Ducks Gesicht rosig, dann rot, dann purpurn. Seine Augäpfel verdrehten sich in den Höhlen, und Dampf schoß ihm aus den Ohren. Bei dieser Darbietung fielen einige der Erfindungen vor Lachen von ihren Plätzen. Sogar Hamlet wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Donald wurde wieder ernst.
    »Aber ich bin nicht hier, um euch zu erheitern. Ich möchte euch zum Nachdenken bringen. Ja, ihr sollt DENKEN.«
    Stille. Alle Heiterkeit, die noch in der Luft hing, verflüchtigte sich. Donald fuhr in ruhigem Ton fort und sagte: »Mickymaus, mein Freund Micky, hat zu euch gesprochen und seinen Haß auf den Homo sapiens dargelegt, der uns schuf. Und wohlgemerkt, Freunde, in wesentlichen Punkten teile ich diesen Haß mit ihm. Insofern finde ich es seltsam, daß ich nun hier stehe, und meinem Freund widerspreche. Denn ich widerspreche ihm. Im Laufe der nächsten paar Minuten will ich versuchen, euch zu überzeugen, nicht durch Leidenschaft, sondern durch Vernunft, daß totaler Krieg das letzte ist, was wir brauchen, um unseren Interessen am besten zu dienen.«
    Darauf begannen einige der Figuren, die Mickymaus am eifrigsten unterstützt hatten, mit den Füßen zu trampeln. Sherlock Holmes, der Donalds Ausführungen aufmerksam verfolgt hatte, vergaß seinen Hammer und rief sie zur Ordnung.
    Donald Duck lächelte. »Glaubt mir, ich kenne eure Unzufriedenheit. Ich empfinde sie so akut wie nur einer von euch.« Er breitete seine Stummelflügel aus. »Seht mich an, Kameraden. Seht diesen häßlichen Schnabel, diese Plattfüße. Kann jemand unter euch bezweifeln, daß auch ich zornig bin? Aber seht euch selbst und uns alle an. Unsere Mißgestaltungen und unsere krankhaften Leidenschaften. Und wenn wir das tun, wird uns klar, daß wir alle Machwerke sind. Skizzen von Tinte auf Papier. Schablonenhafte Figuren, geformt von zweifelhafter Erfindungsgabe, fragwürdigem Geschmack, schablonenhafter Handlung oder dem Zwang, lustig zu sein. Wir haben keine Vergangenheit. Wir haben keine Zukunft. Wir sind ein ewiges Jetzt. Und sind wir damit zufrieden?«
    »Nein, zum Teufel«, sagte Superman.
    »Nein, zum Teufel«, sagte Donald Duck.
    Einige der Figuren, die am erbittertsten nach Krieg verlangt hatten, begannen jetzt betreten dreinzuschauen und sich den Kopf zu kratzen. Donald Duck spürte den Stimmungsumschwung.
    »Einige von uns waren natürlich sehr begünstigt. Mr. Holmes, zum Beispiel. Sein Schöpfer hat sich nicht mit einer schablonenhaften Zeichnung zufriedengegeben. Er hat eine ziemlich vollständige Biografie, ist eine komplexe Gestalt mit
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