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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Mera zu mir, wie sie zu keinem anderen gehörten, denn in meinen Adern floß ihr Blut. Mein Herz schlug heftig, wenn ich ihnen mittags auf der Straße begegnete und wir uns liebevoll begrüßten, während andere bewundernd zusahen.
    Nachts stahlen Arain und Mera sich oft aus der Schule und rannten durch die dunklen Straßen zur Tür von Mathias’ Werkstatt. Dort hüteten der andere Lehrling Taud und ich des Nachts die Feuer. Wir schliefen auf Matten neben dem alten Brennofen.
    Arain brachte süße Kuchen mit, die sie aus der Schulküche gestohlen hatte, und Mera brachte Wein. Wir vier lachten und redeten stundenlang bis tief in die Nacht. Ich habe diese Zeiten in guter, fröhlicher Gesellschaft und den warmen Feuerschein auf den schönen, jungen Gesichtern von Arain und Mera nicht vergessen.
    Taud und ich lernten viel. Manchmal brachten meine Schwestern Bücher mit, und auf diese Weise lernten wir Lesen. Die Bücher weckten unsere Neugierde, und wir dachten über viele Dinge nach, die uns seltsam vorkamen, geheimnisvolle und verwirrende Dinge über Handred und den Tempel und die Götter. Von diesen Dingen zu sprechen, verlockte und ängstigte mich zugleich, denn ich hatte das unbestimmte Gefühl, daß man uns bestrafen würde, wenn man uns entdeckte. Vielleicht fürchtete ich Maknas Rache. Ich hätte besser Radna gefürchtet.
    Meine Schwestern kamen völlig gesund zur Welt, und sie gaben sich gern jeder Sinnenfreude hin. Sie mochten gutes Essen und das wundervolle Delirium nach dem Genuß von zuviel Wein; sie zeichneten sich beim Sport aus, bei der Jagd, bei Kampfspielen und bei Prüfungen ihrer Ausdauer. Als ich eines Abends früh aus der Tongrube zurückkam, schien es mir ganz natürlich, sie mit Taud, der mehrere Jahre älter war als ich, vor dem Feuer ausgestreckt zu finden. Heranwachsend und von Trieben gequält, die mich verwirrten, beneidete ich Taud. Aber es stand einem Bruder nicht zu, über solche Gelüste zu sprechen, und so gab ich mich damit zufrieden, ihnen aus dem Weg zu gehen, um es ihnen leicht zu machen, wenn sie sich ihm hingaben.
    Eines Nachts, am Ende meiner Knabenzeit, kamen meine Schwestern mit Büchern und Wein zur Werkstatt. Eine Zeitlang war ich an den Abenden hinausgegangen, um Feuerholz zu holen. Ich trödelte und schlug mehr Holz, als wir brauchten, um sie mit Taud allein zu lassen. Aber diese Nacht war kalt, und ich hatte keinen Mantel dabei, und so kehrte ich früher als gewöhnlich zurück. Ich überraschte sie, als ich die Tür öffnete.
    Meine Schwestern standen einander gegenüber am Feuer, Mera halb angekleidet und Arain nur in ihren Stiefeln. In den weißen Haaren zwischen ihren Beinen glitzerten Perlen. Taud stand neben seiner Matte in der Ecke, ohne Hemd und errötete.
    »Ich will, daß er mich noch einmal nimmt«, sagte Arain mit tiefer, beängstigender Stimme. »Es ist nicht fair. Er hat dir den Samen schon zweimal gegeben, mir nur einmal.«
    »Sei still, Arain«, sagte Mera leise und blickte in meine Richtung. »Kirth ist gerade zurückgekehrt. Es ist unwichtig.«
    Aber Arain blieb stehen, die Arme in die Hüften gestemmt und den Körper gespannt wie einen Bogen. Ich konnte sehen, daß sie sich zurückhalten mußte, um Mera nicht zu schlagen.
    »Aber ich will … ich will …«, rief Arain mit schmerzvoller Stimme, die ich kaum als die ihre erkannte.
    »Aber du willst ein Kind, Arain! Wir zwei sind unfruchtbar. Du wirst nie ein Kind bekommen«, erwiderte Mera ruhig. Ich glaube, Arains Wut richtete sich weniger auf Mera als auf die Tatsache, von der Mera gesprochen hatte. Arain war von einer Leidenschaft geblendet, die ich nie ganz verstehen werde. Sie hob den Arm, um Mera zu schlagen. Aber Mera packte ihr Handgelenk. Sie waren einander ebenbürtig.
    »Ja! Ich will ein Kind! Wie kannst du sagen, daß es nicht wichtig sei? Wie kann ich mit dem Wissen leben, daß kein Mann, egal, wie oft ich seinen Samen aufnehme, mir je ein Kind schenken kann?« Dann verging Arains Wut, und Tränen rollten über ihre Wangen, während sie auf die Knie sank.
    Sie weinte leise, und Mera hielt sie lange fest und streichelte ihr feines, weißes Haar, und auch auf ihren Wangen glänzten Tränen.
    Ich war noch nicht alt genug, um alles zu verstehen, was ich gesehen und gehört hatte. Ich wußte, daß lebendige, gesunde Kinder ein Schatz und ein Segen der Götter waren, aber Arains Kummer konnte ich nicht verstehen. Ich wußte nichts über die Sehnsucht einer Frau nach Kindern. Und weil so viele
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