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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus
Autoren: Wolfgang Jeschke
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die Nacht verbringen. »Wir danken Ihnen, Freunde«, sagte die junge Frau stockend. »Wir sind einen weiten Weg gegangen. Mein Vater …« Sie verstummte und beugte sich zu dem alten Mann, und ihre grauen Augen spiegelten Zärtlichkeit und Kummer. Der alte Mann saß still da wie eine aus Teakholz geschnitzte Statue und wandte das Gesicht der späten Abendsonne zu. Ein dünnes Rinnsal von Speichel floß von seinen Lippen auf das Kinn. »Mein Vater, Ödipus, braucht Ruhe.«
    »Sie sollen beide Ruhe finden«, sagte Donald Duck. »Ich werde Ihnen ein gutes Motel besorgen.«
    Der Alte nickte, als hätte er verstanden, und die runzligen Winkel seiner Augenhöhlen falteten sich zu der Andeutung eines Lächelns.
    Die Vier saßen schweigend und genossen die letzten Sonnenstrahlen.
     
    »Welches war Ihre zweite Frage?« fragte Donald Duck endlich. »Wie?« sagte Sherlock Holmes. Er hatte Antigone betrachtet und versucht, ihr Alter zu erraten.
    »Sie sagten, Sie hätten zwei Fragen.«
    »Ach ja, richtig. Meine zweite Frage betraf die Zukunft. In deiner Rede vor der Versammlung sagtest du, wir würden wachsen, aber du sagtest nicht, wie dies geschehen sollte. Was wir nun, da wir hier sind, tun sollen.«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Donald. »Ich wollte den Leuten Selbstvertrauen geben. Tatsächlich habe ich überhaupt keine Antworten, nur Vermutungen.«
    »Gut, dann sag mir deine Vermutungen.«
    »Nun, wie ich es sehe, sind wir unbesiegbar. Die einzige Möglichkeit, uns zu vernichten, wäre die Zerstörung jedes Buches, jedes Filmes und jeder Skizze, in denen wir erscheinen. Das ist unwahrscheinlich, nicht wahr? Jedenfalls habe ich Vorkehrungen getroffen und Superman beauftragt, sich der Sicherheitsfragen anzunehmen. Als nächstes möchte ich alle Staatsoberhäupter zusammenbringen und ihnen die Situation erklären …« Er machte eine Pause und neigte den Kopf zur Seite. »Aber vielleicht«, fuhr er fort, »wäre es geradesogut, sie alle kurzerhand umzubringen. Wir wollen die Angelegenheiten nicht durch Politik komplizieren. Wie auch immer, wir müssen die Welt ein wenig reorganisieren. Die Homo sapiens zusammentreiben, so daß wir sie im Auge behalten können. Dann werden wir die Literatur der Welt umschreiben. Erweitern.«
    »Eine große Aufgabe.«
    »Ja, gewiß. Aber nicht unmöglich. Und Sie haben dabei eine wichtige Rolle zu spielen. Glücklicherweise arbeitet die Zeit für uns. Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber ich denke, wir könnten unsterblich sein. Ich weiß nicht, wohin wir gehen, oder ob es irgendeinen großen Plan für uns alle gibt. Aber ich bin überzeugt, daß der Homo sapiens nur deshalb ein Gehirn entwickelte, damit er uns erfinden konnte. Wir sind die Zukunft. Wir sind der nächste Schritt der Evolution, und wir sind angekommen. Wie unser zitierenswerter Freund zu sagen pflegt: ›Es gibt viel mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt.‹ Also dann Kopf hoch, Mr. Holmes!«
     
    Die Sonne versank am Horizont. Ein warmer Abend hüllte Los Angeles ein, und die ersten Sterne zeigten sich. Donald Duck stand auf und reckte sich. »Mr. Holmes, es hat mich gefreut, mit Ihnen zu sprechen. Ich hoffe, wir werden Freunde bleiben. Aber nun muß ich gehen und den alten Ödipus und seine Tochter in die Stadt begleiten.«
    Donald Duck winkte Antigone, dann machte er kehrt und watschelte auf die Lichter der Stadt zu. Unterstützt von seiner Tochter, erhob sich Ödipus ächzend und tappte ihm nach.
    »Donald, Donald!« rief Sherlock Holmes. »Eine letzte Frage, bevor du gehst.«
    Donald Duck blieb stehen und wandte sich um. Ödipus rempelte ihn und murmelte Entschuldigungen.
    »Sag mir, Donald, werde ich jemals Liebe erfahren? Werde ich jemals imstande sein zu lieben?«
    Donald Duck spähte aufmerksam in Sherlock Holmes’ Gesicht. Im schwindenden Tageslicht sah er die Furcht und den Schmerz in den Augen. Im Herzen Sherlock Holmes’ las er all seine Enttäuschung und Lebensangst. Er fühlte sich von Mitleid überwältigt.
    »Sie werden lieben, Mr. Holmes«, sagte er. »Sie werden lieben, bis Ihnen das Herz in tausend Stücke zerspringt. Sie werden Liebe erleiden, bis Sie ein Mensch und mehr als ein Mensch werden. Das verspreche ich Ihnen. Und wenn ich jedes Wort der Geschichte selbst schreiben müßte.«
    »Danke, Donald. Danke und auf Wiedersehen in Washington. Wir werden die Welt errichten, von der du nur träumst.«
     
    Sherlock Holmes ließ sich wieder nieder
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