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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus
Autoren: Wolfgang Jeschke
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hängenden Wolken. Die See unter ihm war aufgewühlt und gischtfleckig. Ein Ozeandampfer, der aus der Höhe wie ein Kinderspielzeug aussah, war in Schwierigkeiten. Träge durchbrach ein mächtiger Rücken die Oberfläche und wälzte sich herum. Der Krake war erwacht.
    Superman kreiste in einer engen Schleife herum und ging auf Südostkurs. Japan rief. Seine überaus empfindlichen Ohren fingen die Schreie von Millionen auf. Der Hafen von Tokio wurde zu gelbem Schaum geschlagen, und inmitten der einstürzenden Gebäude und entgleisenden Züge stand hoch aufgerichtet Godzilla. Seine Klauen pflügten einen Morgen Land um, als Superman verlangsamte und im Tiefflug vorbeizischte. Godzilla hielt in seinem Gemetzel inne und kniff ein schuppiges Auge zu.
    »Hei-di-hei«, rief Superman und entschwand mit einem dünnen Kondensstreifen nordwärts.
    Moralische Verwirrung! »Kehr sofort wieder um«, schrie die Stimme seines Gewissens. »Du hast der Menschheit zu helfen, nicht ihren Mördern Vorschub zu leisten.«
    »Quatsch«, antwortete eine neue Stimme, die Superman undeutlich als seine eigene erkannte. »Laß sie eine Weile schmoren. Ich muß nach Los Angeles, um zu sehen, was der ganze Jux zu bedeuten hat.«
    Und das tat er. Er ließ sich Zeit, flog auf dem Rücken und blickte dabei in den weiten blauen Himmel auf.
     
    Die Düsenmaschine der Luftwaffe, die Major Liebestraum an Bord hatte, war auf einem geheimen Militärflugplatz außerhalb Washingtons gelandet. Major Liebestraum war mit Händeschütteln empfangen worden, mit Kölnisch Wasser besprüht, abgebürstet und unterrichtet worden. Er sah halbwegs vorzeigbar aus. Nun wurde er eilig zum Hubschrauberlandeplatz geführt, wo ihn der Hubschrauber des Präsidenten erwartete. Die Motoren brummten, und die langen Rotorblätter durchschnitten den Sonnenschein.
    »Zielort Weißes Haus«, sagte der Pilot, als Major Liebestraum durch den Einstieg kletterte. »Anweisung, Sie so schnell wie möglich hinzubringen, also behalten Sie Ihr Frühstück bei sich.«
    Der Hubschrauber brüllte auf und stieg wie eine Riesenmücke aufwärts und drehte sich in den Wind. Innerhalb von Minuten waren sie vor dem Weißen Haus.
    Alles war friedlich. In Major Liebestraums kampfmüden Augen nahm sich das Weiße Haus inmitten der Rasenflächen und Bäume hübsch wie eine Ansichtskarte aus.
    Der Hubschrauber bekam Bodenberührung, und sofort wurde Major Liebestraum von einem hochgewachsenen Hauptmann der Marineinfanterie, der ganz harte Muskeln und ungehobeltes Nebraska war, aus dem Hubschrauber gezogen und mitgenommen.
    »Tut mir leid, daß es so schnell gehen muß, Sir«, sagte er, »aber ich habe Anweisung, keine Zeit zu verlieren.«
    Nachdem sie im Laufschritt zum rückwärtigen Eingang gelangt und überprüft worden waren, wurde Major Liebestraum von einem Adjutanten übernommen und durch lange, teppichbelegte Korridore geführt. »Ich muß Sie warnen«, sagte der Adjutant vertraulich, »daß der Präsident heute morgen ein bißchen empfindlich ist, also ist es angezeigt, ihn wie ein rohes Ei zu behandeln. Er erwartet Sie in seinen Privaträumen.«
    Sie kamen an eine Flügeltür. Der Adjutant klopfte höflich, und die Fernsteuerung öffnete die Türflügel. Am anderen Ende des Raumes, über ein Waschbecken gebeugt, stand der Präsident. Sein Gesicht war mit Rasierschaum bedeckt. Er wandte sich den beiden zu und blies kräftig durch die Nase. Zwei Tropfen Rasierschaum klatschten auf den Boden. Der Adjutant zog sich leise zurück.
    »Ah, da sind Sie ja«, sagte der Präsident. »Nun, Sie haben einiges zu erklären. Wie ich hörte, wurde eine ganze Abteilung Marineinfanterie von Mary Poppins in die Flucht geschlagen. Ist das richtig, Soldat?«
    »Also, äh …« Da ihm keine Antwort einfiel, beschloß Major Liebestraum Haltung anzunehmen und zu salutieren.
    Der Präsident wedelte ungeduldig mit dem Handtuch. »Lassen Sie das militärische Gehabe und erzählen Sie, was vorgeht.«
    »Also, Sir, die Situation ist ziemlich extrem … um nicht zu sagen, unglaublich …« Der Präsident murmelte irgend etwas Unverständliches in den Rasierschaum. »Vielleicht, Sir, wenn ich mit dem Anfang beginnen könnte.«
    »Das sollten Sie tun«, grollte der Präsident und begann sich zu rasieren.
     
    Superman erfreute sich des Sonnenscheins. Es war einer jener Tage, an denen es ein gutes Gefühl ist, am Leben und übermenschlich zu sein. Tief unter ihm lag das dünne graue Band der Bundesfernstraße 66.
    Aus der
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