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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder!
Autoren: Bertha von Suttner
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geltend, rüttelt das andere gleichsam auf, um ihm sein Leid mitzuteilen. Allnächtlich – es dürfte immer um dieselbe Stunde sein – erwache ich mit einem unsäglichen Wehgefühl ... Das Herz krampft sich zusammen und mir ist, als sollte ich bitter weinen, kläglich schluchzen. Das dauert so einige Sekunden, ohne daß das aufgeweckte Ich noch weiß, warum jenes andere unglückliche gar so unglücklich ist ... Das nächste Stadium ist dann ein weltumfassendes Mitleid, ein voll schmerzlichsten Erbarmen geseufztes: »O ihr armen, armen Menschen!« Da nun sehe ich unter hageldichten Mordgeschossen aufschreiende Gestalten zusammenbrechen – und jetzt erst erinnere ich mich, daß auch mein Liebstes so zusammenbrach ...
    Aber im Traume, sonderbar: da weiß ich nie etwas von meinem Verlust. Da geschieht es häufig, daß ich mit Friedrich spreche und verkehre, als wäre er noch am Leben. Ganze Auftritte aus der Vergangenheit – aber keine trüben – spielen sich dabei ab: das Wiedersehen nach Schleswig-Holstein; die Scherze an Sylvias Wiege: unsere Fußtouren in den Schweizer Bergen; unsere Studienstunden über geliebten Büchern und hier und da jenes gewisse Bild im Abendsonnenschein, wo mein weißhaariger Mann mit seiner Gartenschere die Rosenzweige stutzt – – »Nicht wahr«, lächelt er mir zu, »wir sind ein glückliches altes Paar?« – – – –
    Meine Trauerkleider habe ich niemals abgelegt – selbst am Hochzeitstage meines Sohnes nicht. Wer einen solchen Mann geliebt, besessen und verloren – so verloren – dessen Liebe muß auch »stärker sein als der Tod«, dessen Rachegroll kann nimmer erkalten.
    Aber wen trifft dieser Zorn? An wem sollte ich Rache üben? Die Menschen, welche die Tat vollbracht, trifft nicht die Schuld. Der allein Schuldige ist der Geist des Krieges und diesem nur könnte mein – allzuschwaches – Verfolgungswerk gelten.
    Mein Sohn Rudolf stimmt mit meinen Gesinnungen überein – was ihn aber nicht hindert, natürlich, alljährlich die Waffenübungen mitzumachen und was ihn nicht hindern kann, wenn morgen der über unseren Häuptern schwebende europäische Riesenkrieg ausbricht, an die Grenze zu marschieren. Und dann werde ich es vielleicht noch einmal sehen müssen, wie mein Teuerstes auf der Welt dem Moloch hingeopfert – wie ein liebgesegneter Herd, an welchem meinem Alter Ruhe und Friede winkt, in Trümmer geschlagen wird.
    Werde ich das noch erleben müssen und dann unwiederbringlich dem Wahnsinn verfallen, oder werde ich den Triumph der Gerechtigkeit und Menschlichkeit noch sehen, der jetzt, gerade jetzt in weitverzweigten Bündnissen und in allen Schichten der Völker so sehnsuchtskräftig nach Betätigung ringt?
    Die roten Hefte – mein Tagebuch – weisen keine weiteren Eintragungen auf. Unter das Datum 1. Februar 1871 habe ich ein großes Kreuz gemacht, und damit schloß auch meine Lebensgeschichte ab. Nur das sogenannte Protokoll – ein blaues Heft – welches Friedrich mit mir angelegt und in das wir die Phasen der Friedensidee aufgezeichnet haben, ist seither mit einigen Notizen bereichert worden.
    In den ersten Jahren, welche dem deutsch-französischen Krieg folgten, hätte ich – abgesehen von meinem geisteskranken Zustande – kaum Gelegenheit gehabt, eine Friedenskundgebung zu verzeichnen. Die zwei einflußreichsten Nationen des Festlandes schwelgten in Kriegsgedanken: die eine im stolzen Rückblick auf die errungenen Siege, die andere in sehnender Erwartung einer bevorstehenden Revanche. Allmählich legte sich der Wogengang dieser Gefühle. Diesseits des Rheins wurden die Standbilder der Germania etwas weniger angejubelt und jenseits diejenigen der Stadt Straßburg mit weniger Trauerfloren geschmückt. Da, nach zehn Jahren, konnte die Stimme der Friedensjünger wieder gehört werden. Bluntschli, der große Völkerrechts-Gelehrte – derselbe, mit welchem mein Verlorener sich in Verbindung gesetzt – war es, der bei verschiedenen Würdenträgern und Regierungen sich deren Ansicht über den Völkerfrieden einholte. Damals fiel des schweigsamen »Schlachtendenkers« bekannter Ausspruch: »Der ewige Frieden ist ein Traum – und nicht einmal ein schöner Traum.«
    »Je nun: wenn Luther den Papst gefragt hätte, was er von einem Abfall von Rom hält, die Antwort würde da auch nicht reformationsfreundlich ausgefallen sein,« schrieb ich damals neben Moltkes Worte in das blaue Heft.
    Heute gibt es fast niemand mehr, der diesen Traum nicht träumte oder der
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