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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder!
Autoren: Bertha von Suttner
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etwas Begeisterndes, Bewundernswertes hat. Es ist nur schade, daß eine solche Vereinigung nicht aus friedlichem, sondern aus kriegerischem Werke hervorgegangen ist. Wie also, wenn Napoleon III. die Herausforderung des 19. Juli nicht abgesendet hätte, wäre da in den Deutschen nicht genug Vaterlandsliebe, nicht genug Volkskraft, nicht genug Einigkeit gelegen, um aus sich heraus dasjenige zu bilden, worauf sie jetzt ihren Nationalstolz setzen werden: »Ein einig Volk von Brüdern?« – Jetzt werden sie jubeln – des Dichters Wunsch ist erfüllt. Daß sie vor kurzen vier Jahren einander in den Haaren gelegen, daß es für Hannoveraner, Sachsen, Frankfurter, Nassauer und so weiter keinen ärgeren Haßbegriff gab als »Preußen« – das wird zum Glück vergessen sein. Dafür aber der Deutschenhaß, hier zu Lande, wie wird der nunmehr gedeihen!«
    Mir schauderte.
    »Das bloße Wort Haß« begann ich –
    »Ist dir verhaßt? Du hast recht. So lange dieses Gefühl nicht recht- und ehrlos gemacht wird, so lange gibt es keine menschliche Menschheit. Der Religionshaß ist überwunden, aber der Völkerhaß bildet noch einen Teil der bürgerlichen Erziehung. Und doch gibt es nur ein veredelndes, ein beglückendes Gefühl hieneden – das ist die Liebe. Nicht wahr, Martha, davon wissen wir etwas zu erzählen?«
    Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und blickte zu ihm auf, während er mir zärtlich das Haar aus der Stirn strich.
    »Wir wissen,« fuhr er fort, »wie süß es ist, wenn im Herzen so viel Liebe wohnt – füreinander, für unsere Kleinen, für alle Brüder der großen Menschenfamilie, denen man so gern, so gern das drohende Leid ersparen wollte ... Aber sie wollten nicht.«
    »Nein, nein Friedrich – so umfassend ist mein Herz doch nicht. Die Hassenden alle kann ich nicht lieben.«
    »Aber doch bemitleiden?«
    In dieser Weise plauderten wir lange weiter. Ich weiß es noch heute so genau, weil ich damals öfters – neben den kriegerischen Ereignissen – auch Bruchstücke unserer daran geknüpften Gespräche in die roten Hefte eintrug. An jenem Tags haben wir auch wieder einmal von der Zukunft gesprochen: jetzt würde Paris kapitulieren müssen, der Krieg hatte ein Ende – und dann konnten wir wieder mit gutem Gewissen glücklich sein. Da überschauten wir die Gewährleistungen unseres Glücks. In den acht Jahren unserer Ehe nicht ein hartes, nicht ein unfreundliches Wort – so viel miteinander durchgelitten und durchgenossen – so war unsere Liebe, unser Einssein derart befestigt, daß eine Abnahme nicht mehr zu fürchten war. Im Gegenteile! – nur stets inniger würden wir uns aneinander schließen – jedes neue gemeinschaftliche Erlebnis gäbe zugleich ein neues Band ab. Wenn wir erst ein paar weißhaarige alte Leutchen geworden – mit welcher Freude konnten wir da auf die ungetrübte Vergangenheit zurückblicken, welch' goldig-milder Lebensabend lag dann noch vor uns!
    Dieses Bild von dem glücklichen alten Pärchen, das wir einst abgeben sollten, hatte ich mir so oft und lebhaft vorgestellt, daß es sich mir ganz deutlich eingeprägt und sogar im Traum sich wiederholte, wie etwas wirklich Geschehenes. Mit verschiedenen Einzelheiten: Friedrich mit einem Samtkäppchen und einer Gartenschere ... ich weiß selber nicht warum, denn niemals hatte er Lust zur Gärtnerei gezeigt, und von einem Hauskäppchen war schon gar nie die Rede gewesen; – ich mit einem sehr kokett gesteckten schwarzen Spitzentuche auf dem silberweißen Haar, und als Umgebung eine von der untergehenden Sommersonne warm erleuchtete Parkpartie; dazu lächelnd getauschte freundliche Blicke und Worte: »Weißt du noch? ... Erinnerst du dich, damals als –«
    * * *
    Viele der vorangehenden Blätter habe ich mit Schaudern und mit Überwindung geschrieben. Nicht ohne inneres Entsetzen vermochte ich die Auftritte zu schildern, die ich auf meiner Fahrt nach Böhmen und während der Cholerawoche in Grumitz mitgemacht. Ich habe es getan, um einer Pflichtmahnung zu gehorchen. Ein geliebter Mund hat mir einst den feierlichen Befehl erteilt:
    »Falls ich früher sterbe, mußt du meine Aufgabe übernehmen, für das Friedenswerk zu wirken.« –
    Wäre mir dieses bindende Geheiß nicht geworden, nimmer hätte ich es über mich gebracht, die Schmerzenswunden meiner Erinnerungen so schonungslos aufzureißen. Jetzt bin ich aber bei einem Erlebnis angelangt, das ich berichten, nicht aber schildern will – nicht kann.
    Nein, ich kann nicht, kann
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