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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder!
Autoren: Bertha von Suttner
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nicht!
    Ich habe es versucht: zehn halbgeschriebene, zerrissene Blätter liegen auf dem Boden neben meinem Schreibtisch – ein Herzkrampf befiel mich – die Gedanken stockten oder kreisten wild in meinem Hirn – – ich mußte die Feder wegwerfen und weinen, bitter, heftig, kläglich weinen, wie ein Kind.
    Jetzt, einige Stunden später, nehme ich meine Aufgabe wieder vor. Aber auf die Beschreibunq der Einzelheiten nachstehenden Geschehnisses, auf Mitteilung dessen, was ich dabei empfunden – muß ich verzichten.
    Die Tatsache genügt:
    Friedrich – mein Einziger! – ward infolge eines bei ihm gefundenen Berliner Briefes der Spionage verdächtigt ... von einer fanatischen Rotte umringt »á mort – á mort le Prussien!« – vor ein Patriotentribunal geschleppt – – am 1. Februar 1871 – – – – standrechtlich erschossen.

Epilog.
1889
    Als ich zum erstenmal wieder zu Bewußtsein gelangte war der Friede geschlossen – die Kommune überstanden. Monatelang hatte ich – von meiner treuen Frau Anna gepflegt – in einer Krankheit dahingelebt, ohne zu wissen, daß ich lebe. Und was es für eine Krankheit war – ich weiß es heute noch nicht. Meine Umgebung nannte es zartsinnig: Typhus; ich glaube aber, daß es einfach – Wahnsinn war.
    So ganz dunkel erinnerte ich mich, daß die letzte Zeit mit Vorstellungen von knatternden Schüssen und lodernden Bränden gefüllt war; vermutlich vermengten sich da mit meinen Phantasien die in meiner Gegenwart besprochenen Ereignisse der Wirklichkeit, nämlich die Kämpfe zwischen Versaillern und Kommunarden, die Brandlegung der Petroleusen. –
    Daß – als ich meine Vernunft wieder erlangte und mit dieser auch das Verständnis meines tiefen Unglücks: daß, ich da mir kein Leid angetan oder daß der Schmerz mich nicht tötete, das lag wohl in dem Besitze meiner Kinder. Durch diese konnte, für diese mußte ich leben. Noch vor meiner Krankheit – an dem Tage selber, an dem das schreckliche über mich hereingebrochen – hat mich Rudolf am Leben erhalten. Ich war laut jammernd auf die Knie gesunken, indem ich wiederholte: »Sterben – sterben! ... Ich muß sterben!« Da umfaßten mich zwei Arme und ein bittendes schmerzhaft-ernstes, wunderliebes Knabengesicht sah mich an:
    »Mutter!«
    Bis dahin hatte mich mein Kleiner nie anders als »Mama« genannt. Daß er in diesem Augenblick – zum erstenmal – das Wort »Mutter« gebraucht, das sagte mir in zwei Silben: »Du bist nicht allein – du hast einen Sohn, der deinen Schmerz teilt – der dich über alles liebt und ehrt, der niemand hat auf dieser Welt, als dich – verlaß dein Kind nicht, Mutter!«
    Ich preßte das teure Wesen an mein Herz; – und um ihm zu zeigen, daß ich verstanden hatte, stammelte auch ich:
    »Mein Sohn, mein Sohn!«
    Zugleich erinnerte ich mich meines Mädchens – seines Mädchens, und mein Entschluß zu leben, war gefaßt.
    Aber der Schmerz war zu unerträglich: ich verfiel in geistige Nacht. Und nicht nur dieses eine Mal.
    Im Laufe der Jahre – in immer längeren Zwischenräumen – blieb ich Rückfällen von Tiefsinn unterworfen, von welchen mir dann in genesenem Zustande gar keine Erinnerung blieb. Jetzt, seit mehreren Jahren, bin ich schon ganz frei davon. Frei von der bewußtlosen Schwermut heißt das, nicht aber von bewußten Anfällen bittersten Seelenschmerzes. Achtzehn Jahre sind seit dem 1. Februar 1871 vergangen, aber der tiefe Groll und die Trauer, welche die Tragödie jenes Tages mir eingeflößt – die kann keine Zeit – und lebte ich hundert Jahre – verwischen. Wenn auch in letzter Zeit die Tage immer häufiger sich einstellen, da ich, von den Begebenheiten der Gegenwart eingenommen, an das vergangene Unglück nicht denke, da ich sogar die Freude meiner Kinder so lebhaft mitempfinde, daß mich selber noch etwas wie Lebensfreude durchwallt, so vergeht doch keine Nacht – keine – in der mich mein Elend nicht erfaßte. Das ist etwas ganz Eigentümliches, das ich schwer beschreiben kann, und das nur solche verstehen werden, welche ähnliches an sich erfahren haben. Es deutet wie auf ein Doppelleben der Seele. Wenn auch das eine Bewußtsein, im wachen Zustande, von den Dingen der Außenwelt so eingenommen sein kann, daß es zeitweilig vergißt , so gibt es in der Tiefe meiner Persönlichkeit noch ein zweites Bewußtsein, welches jene schreckliche Erinnerung immer mit dem gleichen treuen Schmerz bewahrt: und dieses Ich – wenn das andere eingeschlafen – macht sich dann
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