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Die Wälder von Albion

Die Wälder von Albion

Titel: Die Wälder von Albion
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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und wir tranken starken Met aus einem großen Becher. Wie es die Sitte gebot, ergriff jede Priesterin das Wort, wenn sie den Becher bekam, und sprach von den gemeinsamen Erinnerungen, die uns mit Aine verbanden. Nur Lhiannon war nicht bei uns, denn wenige Tage vor dem Vollmond mußte sie allein bleiben. Sie reinigte sich, um für die Kraft des Orakels bereit zu sein. Ich saß jedoch bei den anderen, und ich erinnere mich gut an meine Worte damals.
    »Aine stammte wie ich von der Westküste von Eriu. Als ich hierher kam, fühlte ich mich anfangs sehr einsam, denn seit Lhiannon mich zu sich genommen hatte, war ich jede Nacht bei ihr gewesen. Ich weinte und war allein an diesem seltsamen Ort, so fern vom Meer und seinen vertrauten Geräuschen. Aine kam und nahm mich in ihre Arme und sang mich mit Geschichten aus unserer Heimat in den Schlaf. Sie hat mir das Leierspielen beigebracht, und von ihr habe ich die Lieder meiner Heimat gelernt. Von ihr habe ich auch die Kunst erworben, andere zu lehren, wie man die Leier spielt und dazu singt.«
    »Ja, sie war uns allen eine gute Lehrerin«, sagte eine andere Frau. »Mir hat sie beigebracht, mit bunten Fäden zu sticken. Damals war ich noch ein kleines Mädchen, und jetzt unterweise ich die Jungfrauen in dieser Kunst.«
    Der Becher kreiste in der Runde, und jede Frau wußte etwas Gutes von Aine zu berichten, von tröstlichen Worten und Hilfe im rechten Augenblick. Als der Met ausgetrunken war, griff ich nach meiner Leier und sang ein Abschiedslied. Aber danach legte ich das Instrument nicht beiseite.
    »Wir haben Aines Leben gewürdigt«, sagte ich. »Es war ein gutes Leben, aber niemand soll vergessen, daß es zerrissen worden war vom Wirken der Zerstörung. Nur von den kunstvollen Fäden der Göttin wurde es noch wie ein geflicktes Gewand zusammengehalten. Bladwen, du redest nicht mehr von dieser Zeit, aber wenn wir nicht hin und wieder von der Eroberung der heiligen Insel Mona sprechen, dann fördern wir eine gefährliche Zufriedenheit, und das darf nicht sein! Vergeßt nicht, die Entweihung der heiligen Insel ist der Grund dafür, daß wir alle hier sein müssen.«
    Miellyn, die noch nicht lange bei uns war, meinte: »Ich habe immer nur gehört, es sei eine große Tragödie gewesen, aber niemand wollte mir Genaueres darüber sagen.«
    »Ja, es war eine Tragödie«, erwiderte ich. »Ich bin keine Sängerin, aber ich werde euch die Geschichte erzählen.«
    Ich drückte die kleine Leier an meine Schulter und zupfte einen Akkord. Dann begann ich wie ein Barde zu singen. Als die Töne verklungen waren, berichtete ich den Frauen das, was ich persönlich über die Ereignisse wußte.
    »Hört gut zu. Bevor die Römer nach Albion kamen, gab es auf der heiligen Insel eine Schwesternschaft der Priesterinnen, die zusammen mit den Druiden dort der Göttin dienten. Die Römer erschienen mit schönen Worten und Geschenken am Ufer der Insel, aber ihrem Gold folgte das Eisen. Die Römer hetzten mit ihren Lügen die Stämme gegeneinander auf, und so fiel ihnen ein Stamm nach dem anderen zum Opfer.
    Nachdem die Legionäre mit den roten Mänteln halb Britannien erobert hatten, beschlossen die Römer, die besiegten Völker zu versklaven. Die unterworfenen Stämme suchten Hilfe bei den Druiden. Die Römer fürchteten die Macht der Priester, die sie nicht verstanden, und marschierten zur heiligen Insel. Das war noch bevor Königin Boudicca das Land zur Rebellion gegen die Römer aufrief.«
    »Was haben die Römer getan?« wollte Miellyn wissen.
    »Sie erschlugen alle Priester. Nach dieser Gotteslästerung hätte man glauben können, daß sie auch die Priesterinnen töteten, aber sie haben die Frauen vergewaltigt, von zahnlosen Großmüttern bis hin zu neun-und zehnjährigen Mädchen.«
    Es wurde still in der Runde. Vor Entsetzen verschlug es allen den Atem.
    »Sie haben keine der Frauen verschont«, fuhr ich fort, »und danach zogen sie in dem Glauben ab, die Schändung habe unsere magischen Kräfte zerstört. Die Frauen blieben am Leben, und die meisten im gebärfähigen Alter wurden schwanger. Sie suchten Zuflucht bei den Druiden in anderen Teilen des Landes. Als sie ihre Kinder zur Welt brachten, wurden die Töchter in den heiligen Brunnen ertränkt. Die Priesterinnen, die nicht auf der heiligen Insel gewesen waren, nahmen alle an, daß auch den Söhnen dieses Schicksal bestimmt sei. Aber die Druiden beschlossen, die Kinder großzuziehen, damit sie, die Raben, ihre Mütter eines Tages rächen
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