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Die Wälder von Albion

Die Wälder von Albion

Titel: Die Wälder von Albion
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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fröstelnd ihr weites Gewand enger um sich. War ihr wirklich nur kalt oder hatte sie Angst? Sie wiegte sich im rhythmischen Einklang mit den anderen Priesterinnen. Dann hob sie die Arme zum Fluch. Die dunklen Umhänge der heiligen Frauen breiteten sich wie die Flügel von Raben aus. Ein gespenstisches Heer aus der anderen Welt schien zum Angriff bereit.
    Auch die Römer schrien Verwünschungen und Flüche. Und dann marschierte die erste Reihe der Legionäre zum Wasser.
    Als Erwiderung auf den Angriff der Feinde hallte die Kriegsharfe der Druiden noch lauter und bedrohlicher durch die Nacht. Die Priesterin verstummte erwartungsvoll nach dem Schrei, in den sie ihre ganze Kraft legte. Aber der Feind rückte unerbittlich näher, und es dauerte nicht lange, bis der erste Römer mit seinem flatternden roten Mantel an das Ufer der heiligen Insel sprang.
    Aber die Götter erschlugen ihn nicht…
    Die wilden Gesänge der Druiden gerieten ins Wanken. Ein Priester riß die Priesterin zurück und stellte sich schützend vor sie, als die stählerne Klinge im Fackelschein drohend blitzte. Das Schwert stach zu, und Blut ergoß sich über das dunkle Gewand.
    Der Einklang der Gesänge war zerstört. Man hörte nur noch wildes Geschrei, und die Priesterin floh in den Schutz der Bäume. Die Römer mähten hinter ihr die Druiden nieder wie reifes Korn. Viel zu schnell hatten sie alle umgebracht, und dann brandete die rote Flut zum Wald hinauf.
    Die Priesterin rannte stolpernd und keuchend durch die Bäume zum Heiligtum, zu dem geweihten Kreis der hohen Steine. Über dem Haus der Frauen leuchtete plötzlich der Himmel. Vor ihr ragten schemenhaft die dunklen heiligen Eichen auf, aber dicht hinter ihr hörte sie lautes Rufen. In ihrer Verzweiflung umklammerte sie den Altar in der Mitte. Sie wußte, daß die Römer sie töten würden. Die Priesterin rief die Göttin an. Sie richtete sich auf und wartete auf den tödlichen Hieb.
    Aber die Männer wollten sie nicht mit dem Schwert durchbohren. In ihrer entfesselten Gier hatten sie etwas anderes im Sinn. Die Priesterin wehrte sich erbittert, als harte Hände brutal nach ihr faßten und ihr die Gewänder vom Leib rissen. Mit roher Gewalt warfen sie die Frau auf den flachen Altarstein, und dann war der erste der Männer über ihr. Es gab keine Flucht, kein Entrinnen. Sie konnte nur dank des geheimen Wissens ihr Bewußtsein aus dem Körper entfernen, bis die Soldaten fertig sein würden. Und bevor das Dunkel des Vergessens sie erlöste, rief sie: »O Göttin! Herrin der Raben, räche mich! Räche mich!«

    »Räche mich… «
    Ich erwachte von meinem Schrei und richtete mich mit weit offenen Augen entsetzt auf. Wie immer dauerte es eine Weile, bis ich begriff, daß alles nur ein Traum gewesen war…
    Ich hatte das Morden und die grausame Lust der Männer nicht selbst erlebt, denn damals, in dem Jahr, als die Legionäre die Priester erschlugen und die Frauen der heiligen Insel schändeten, war ich noch ein Kind gewesen - ein unerwünschtes Kind mit dem Namen Caillean - und lebte sicher in Eriu am anderen Ufer des Meeres. Aber nicht lange danach brachte mich die Orakelpriesterin in dieses Land, wo ich die Geschichte zum ersten Mal hörte. Seit dieser Zeit haben mich die Geister jener Frauen nicht mehr in Ruhe gelassen.
    Der Vorhang an meiner Tür wurde zur Seite geschoben, und eine der Frauen, die mir dienen, blickte besorgt in die Kammer.
    »Herrin, geht es dir gut? Kann ich dir beim Ankleiden behilflich sein? Es ist bald Zeit, die aufgehende Sonne zu begrüßen.«
    Ich nickte nur stumm, wischte mir den kalten Schweiß von der Stirn und ließ mir von ihr in ein sauberes Gewand helfen. Dann legte sie mir den Torque der Hohenpriesterin um den Hals und den Blumenkranz auf die Stirn. Ich folgte ihr hinaus auf den steilen Berg jener anderen Insel. Es ist ein grüner Tor , der aus dem Sumpf und den Wiesen aufragt, die man Avalon, das Sommerland oder die Insel der Äpfel, nennt. Von unten hörte ich das Singen der Jungfrauen, die den heiligen Brunnen bewachen, und vom benachbarten Tal die Glocke, die die Einsiedler zum Gebet in die kleine runde Kirche neben dem Weißdorn ruft.
    Sie waren nicht die ersten, die Ruhe und Frieden auf dieser Insel am Ende der Welt jenseits der Meerenge suchten; und ich vermute, sie werden auch nicht die letzten sein.
    Seit dem Massaker auf der heiligen Insel sind viele Jahre vergangen. Und obwohl in meinen Träumen die Stimmen der Opfer noch immer Rache fordern, sagt mir eine
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