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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco
Autoren: Bernhard Jaumann
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Paolo«, sagte Angelo Sgreccia.
    »Oder Giorgio«, sagte Ivan.
    »Nur daß Giorgio weniger Gift im Leib hatte«, sagte Marta Garzone.
    »Weil er nur einmal gebissen wurde«, sagte Milena Angiolini.
    »Und an seinem Tod konnte die Polizei nichts Ungewöhnliches finden«, sagte der alte Curzio.
    »Und kurz darauf passiert der gleiche ... Unglücksfall« – der Brigadiere betonte das Wort höhnisch – »noch einmal! Zweimal in so kurzer Zeit. Im gleichen Kaff! In dem sonst nie etwas passiert. Zweimal ein Vipernbiß mit Todesfolge! Wißt ihr, wann wir das zuletzt hatten?«
    Der Brigadiere schaute auffordernd in die Runde. Niemand antwortete, doch alle blickten ihn interessiert an. Der Brigadiere sagte: »Das hatten wir noch nie. Nicht, so lange sich einer von uns zurückerinnern kann.«
    »1920«, sagte Costanza Marcantoni, »1920 war es genauso, da ist ...«
    »Ich glaube nicht an Zufälle«, sagte der Brigadiere. »Ich glaube, daß da einer nachgeholfen hat. Und weil es das erste Mal so gut geklappt hat, hat er es gleich noch einmal probiert.«
    »Dem Brigadiere geht es nicht gut«, sagte Milena Angiolini mitfühlend.
    »Das ist die Gluthitze«, sagte Fiorella Sgreccia.
    »Wie wäre es mit einem Schluck Wein?« fragte Ivan Garzone.
    »Wenn einer von euch etwas weiß und mir nicht auf der Stelle die Wahrheit sagt, macht er sich mitschuldig«, drohte der Brigadiere.
    Es war ein letzter Versuch, einen Keil zwischen die Menschen von Montesecco zu treiben, doch er mußte scheitern. Es gab keinen Punkt, an dem man den Keil hätte ansetzen können. Sie waren kein Knäuel von Schlangen, sie waren ein einziger fugenloser Block aus spiegelndem Metall, an dem abglitt, was immer man dagegen in Stellung brachte. Ein Stahlblock, der in mörderischer Hitzegegossen und von ungeheuren Kräften geschmiedet worden war.
    »Was denken Sie von uns, Brigadiere?« fragte Marisa Curzio.
    »Wenn ein Verbrechen geschehen ist, muß es bestraft werden«, sagte Franco Marcantoni.
    »Da sind wir uns alle einig«, sagte der alte Sgreccia.
    »Da werden Sie hier in Montesecco niemanden finden, der anderer Meinung ist«, sagte der alte Curzio.
    Der Brigadiere nickte. Er begriff, daß er diesen Block nicht würde sprengen können. Das Schicksal jedes einzelnen war auf Gedeih und Verderb mit dem aller anderen verschmolzen.
    Vielleicht ahnte der Brigadiere sogar, daß er den einen Verbrecher, der sich in der Masse versteckte, vergeblich suchen würde. Daß sie alle gleichermaßen unschuldig oder schuldig waren. Daß er zu spät gekommen war und sie selbst Recht gesprochen hatten, so gut sie es eben verstanden.
    Er musterte die Dorfbewohner um sich. Es waren Menschen, die lachten, tranken, Radio hörten und die Polizei belogen, wie alle anderen auch. Sie hatten nur für einen Augenblick in uralte, fremde Zeiten eintauchen müssen, in denen uralte, fremde Gesetze herrschten. Dagegen konnte man nicht an. Man konnte nur hoffen, daß sie wiederaufgetaucht waren. Der Brigadiere kapitulierte.
    »Ein Unglücksfall also«, sagte er und gab seinen Männern Befehl, sich in die Wagen zu setzen. Bevor er selbst einstieg, wandte er sich noch einmal um, als habe er noch etwas zu sagen. Doch dann schüttelte er nur stumm den Kopf. Er setzte sich auf den Beifahrersitz des vorderen Wagens und schlug die Tür zu. Die beiden Autos wendeten und verschwanden in der Gasse neben der Kapelle. Man hörte noch ein ungeduldiges Hupen. Wahrscheinlich war ein struppiger kleiner Hund quer über die Piazza gelaufen und brachte sich nun am Palazzo Civico in Sicherheit. Einpaar Meter unter der Uhr, deren Zeiger auf zwanzig nach acht standen. Dann verebbte das Motorengeräusch. Die Carabinieri waren aus Montesecco abgezogen.
    »Was für eine Gluthitze!« sagte Fiorella Sgreccia. Sie fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu.
    »Auch so ein Sommer geht vorbei«, sagte Costanza Marcantoni.
    »Am Monte Catria soll es schon regnen«, sagte Marta Garzone, und ein paar andere blickten unwillkürlich nach oben. Der Himmel war stahlblau, nur ganz im Süden, noch weit hinter Piticchio, standen ein paar kleine weiße, zerfetzte Wolken.

Eine Bitte:
    Wenn Sie sich mit dem Gedanken tragen, Montesecco zu besuchen, tun Sie das ruhig. Schlendern Sie durch die Gassen, leisten Sie sich ein Eis in der Bar (zur Zeit nur abends geöffnet), bewundern Sie von der Piazzetta aus die weite marchigianische Hügellandschaft, oder unternehmen Sie einen Spaziergang zum Friedhof hinab. Aber fragen Sie bitte keinen
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