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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco
Autoren: Bernhard Jaumann
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Americano stehen, taumelte weiter nach unten. Jemand kam ihm entgegen. Die Gestalt verschwamm vor seinen Augen, als ob er durch eine Brille mit zu dicken Gläsern starren würde, aber sicher trübte ihm nur der Schweiß den Blick. Ihm rannen Bäche von der Stirn. Er wischte sich mit dem linken Ärmel über die verklebten Augen. Na also, er sah wieder fast klar. Es war Marisa Curzio. Er packte sie am Arm, bevor sie die Stufen zu ihrem Haus hocheilen konnte.
    »Bring ... mich ... nach ... Pergola!« Seine Zunge machte mit. Seine Lippen öffneten und schlossen sich, wie er es wollte. Er mußte nur langsam sprechen, sich auf jedes Wort konzentrieren und eins nach dem anderen hervorstoßen.
    »Klar, Paolo«, sagte Marisa Curzio. Sie wand sich unter seinem Griff. »Wenn du mich losläßt. Ich muß doch den Autoschlüssel holen.«
    Marisa Curzio rieb sich die weißen Druckstellen am Oberarm, als er seine Pranke zurückgezogen hatte. Er hatte ihr nicht weh tun wollen, er besaß nur soviel Kraft. Das Gift mochte versengen, was es wollte, sein Körper war zu zäh. Und zäher noch war sein Wille. Er keuchte. Er hätte sich gern auf die Stufen gesetzt, aber dann hätte er nachher wieder aufstehen müssen. Er tastete nach dem Geländer neben den Treppenstufen.
    Aus dem Haus hörte er Marisa Curzios Stimme, die an- und abschwoll wie die Sirene eines schnell vorbeifahrendenKrankenwagens. Die Worte hallten seltsam in seinem Kopf wider. Er hatte Mühe, ihren Sinn zu verstehen.
    »Nein, hier in der Küche ist er auch nicht. Ich bin mir sowieso sicher, daß ich ihn ans Schlüsselbrett gehängt habe. Ich hänge ihn immer dorthin, sonst wäre ich ja dauernd am Suchen. Vielleicht war das Auto im Weg gestanden, und irgendwer hat den Schlüssel genommen, um es wegzufahren. Anders kann ich mir das nicht erklären. Der Ersatzschlüssel! Ja, irgendwo muß noch ein Ersatzschlüssel sein. Aber wo? Keine Ahnung. Den brauche ich ja nie, da muß ich erst suchen, Paolo. Das kann eine Weile dauern. Tut mir leid, Paolo.«
    Das Blut rauschte in seinem Kopf. Kam und ging wie die Meeresbrandung. Klatschte gegen Gehirnklippen und floß glucksend zurück. Er würde nicht warten, bis Marisa einen Schlüssel gefunden hatte. Auf die war er wirklich nicht angewiesen. Er war auf keinen von ihnen angewiesen. Er würde selbst ins Krankenhaus fahren.
    Sein alter Fiat Ducato stand auf der Piazza. Den Schlüssel trug er in der Hosentasche. Er blickte an seinem rechten Arm hinab. Die Hand war dick geschwollen. Ein unförmiger roter Klumpen, der nicht mal in die Hosentasche griff, wenn man es ihm befahl. Wozu hatte er eigentlich diesen verdammten Arm am Körper hängen, wenn er ihn zu nichts gebrauchen konnte? Er wünschte ihn sich weg, doch vergeblich. Das war gut. Das Schicksal war mit ihm. Es ließ nicht zu, daß er seine Wünsche sinnlos vergeudete.
    Er ließ das Geländer los. Er krümmte sich unter dem Schmerz, den die Drehung verursachte, doch er fingerte mit der linken Hand den Autoschlüssel hervor. Seine Beine quollen auf. Als würden sie mit flüssigem Eisen getränkt. Er schätzte die Entfernung bis zu seinem Wagen ab. Ein Katzensprung. Er keuchte. Er überlegte, wie man gehen könnte, ohne die Beine zu bewegen. Ihm fiel nichts ein, und so schleppte er sich voran. Einen halben Meter und den nächsten halben Meter und noch einen halbenMeter. Es ging prächtig. Wenn sein Atem nicht so gerast hätte, hätte er gar keinen Grund gehabt, eine Pause zu machen, als er die Fahrertür öffnete.
    Er blickte aufs Lenkrad, auf den Knüppel der Gangschaltung. Er würde mit der linken Hand den zweiten Gang einlegen und damit bis nach Pergola fahren. Bis zur Notaufnahme des Krankenhauses. Er brauchte nur den Fuß aufs Gaspedal zu legen, wenn er erst mal auf dem Fahrersitz saß. Zwischen Gaspedal und Sitz lag eine zerschlissene Fußmatte. Davor war die blecherne Leiste des Türrahmens. Um sie zu überwinden, mußte er einen Fuß anheben, ihn auf die Matte setzen und sich mit dem anderen Fuß abstoßen, um den Körper nach oben zu hieven.
    Für ihn wäre das überhaupt kein Problem gewesen, nur seine Beine machten nicht mit. Dabei waren sie gar nicht abgestorben. Was schmerzte und brannte wie das Höllenfeuer, konnte nicht tot sein. Seine Beine streikten einfach. Damit hatte er nicht gerechnet. Daß ihn sein Körper im Stich lassen könnte. Jetzt, da sich alles zum Guten gewendet hatte.
    Nein, sein Körper verriet ihn nicht. Er brauchte nur ein wenig Hilfe. Eine Hand, die
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