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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco
Autoren: Bernhard Jaumann
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Flasche nehmen.
    Ich werde sie langsam zurückziehen«, sagte er leise, »und du wirst dich nicht rühren.«
    Die Viper rührte sich nicht.
    Gut. Lucarelli hob erst den Zeigefinger an. Der Finger zitterte ein wenig. Die Viper sah zu. Mittelfinger, Ringfinger, kleiner Finger. Die Handfläche löste sich mit einem leisen Schmatzen vom Plastik. Die Viper brummte. Lucarellis Hand erstarrte in der Bewegung.
    Ruhig! dachte er. Es ist nichts, dachte er. Er sah den Abdruck seiner Hand, der auf der Plastikflasche von den Rändern her schmolz.
    Die Viper brummte.
    Und schepperte.
    Sie brummte und schepperte wie ein altes Auto, das über den Feldweg auf die Ruine von Godis Haus zuholperte.
    Lucarelli machte keine ruckartige Bewegung. Er drehte nicht einmal den Kopf. Es war nur sein Blick, der unwillkürlichnach rechts schweifte. Dem Geräusch des sich nähernden Wagens entgegen. Ein kurzer Schwenk der Augen, die sofort wieder zurückschnellten, als ein heißer Stich durch Lucarelli fuhr. Eher ungläubig als erschrocken weiteten sich seine Pupillen, als sie die Viper in seinen Unterarm verbissen sahen, den Kiefer weit aufgesperrt, den dreieckigen Kopf so tief in seine Haut gegraben, daß er wie ein Tattoo aussah, den Rumpf steif und gestreckt wie ein Stock, wie eine seltsame schwarze Spritze, die unerbittlich ihr schwarzes Gift in Lucarellis Blutbahn drückte.
    Es dauerte nur einen Augenaufschlag, bis die Viper losließ, doch Lucarelli bekam sie mit der linken Hand zu fassen. Er schrie nicht auf, sprang nicht in Panik hoch, er sah die Viper, er sah seinen Arm und fühlte sich verraten. Er hatte gedacht, sie hätten sich geeinigt, die Viper und er, doch er hatte sich getäuscht. Sie hatte ihn getäuscht. Ruhig beugte Lucarelli den Oberkörper nach unten, setzte den rechten Fuß knapp hinter den Kopf der Viper, legte alle Kraft in den Druck des genagelten Absatzes. Der Schwanz der Viper schlug noch zweimal, dann war Schluß. Sie war tot. Es war vorbei.
    »Heimtückisches Vieh«, sagte Lucarelli. Er besah sich seinen Unterarm. Die Abdrücke der Giftzähne waren deutlich zu erkennen. Aus einem quoll langsam ein Blutstropfen. Die Bißstelle schmerzte nicht mehr als ein Wespenstich, aber Lucarelli glaubte zu spüren, wie das Gift durch seine Adern strömte.
    Er zog das Hemd über den Kopf, bohrte sein Messer durch den Stoff, zog an und riß einen Streifen heraus. Er schlang ihn um den Arm oberhalb der Bißstelle. Mit der linken Hand und den Zähnen zog er zu, so fest er konnte.
    Hinter Godis Haus erstarb der Motor des verfluchten Autos, das ihn abgelenkt hatte. Lucarelli hörte, wie die Wagentür sich öffnete und wieder zuschlug. Immerhin konnte er sich den Fußweg ins Dorf sparen. Er würde sich insKrankenhaus bringen lassen, und in spätestens zwanzig Minuten würden sie ihm das Gegengift spritzen. Mit der linken Hand schraubte Lucarelli die Wasserflasche auf. Er nahm einen tiefen Schluck.
    Lucarelli hörte stapfende Schritte. Er wandte sich um und sah eine Gestalt durch Disteln und Brombeergestrüpp auf sich zukommen.
    »Du?« fragte er.
    Gegen dreizehn Uhr war das Risotto fertig. Bis dreizehn Uhr dreißig warteten die Lucarellis, dann entschied Antonietta, daß es genug sei. Ihr Mann erschien öfter mal zu spät zum Mittagessen, weil er angeblich irgendwelche Freunde getroffen habe. Ihr war es egal, solange sich Giorgio sein Essen selbst aufwärmte. Sie saßen zu fünft um den Tisch, Antonietta, die beiden Mädchen und die Schwiegereltern.
    Um vierzehn Uhr dreißig räumte Antonietta den Teller, den sie für ihren Mann bereitgestellt hatte, in den Geschirrschrank zurück. Sie deckte den Topf mit dem Rest des Risottos ab und stellte ihn in den Kühlschrank. Dann ging sie ins Schlafzimmer und zog sich aus. Sie legte sich auf das Leintuch. Entlang eines Risses an der Zimmerdecke bröckelte der Putz ab. Giorgio mußte mal darüberspachteln. Es war stickig heiß. Antonietta konnte nicht einschlafen und stand um fünfzehn Uhr fünfzehn wieder auf. Die Schwiegereltern dösten irgendwo, und die beiden Mädchen stritten im Wohnzimmer. Es ging darum, ob man die neue Schallplatte von Laura Pausini mehr als dreimal hintereinander anhören dürfe. Giorgio war noch nicht da.
    Es war zu heiß, um im Garten zu arbeiten. Antonietta fegte die Küche. Irgendwann kam Lidia Marcantoni vorbei und fragte, ob sie jemanden wüßte, der sonntags ab und zu die Orgel in der Kirche spielen würde. Dann wusch Antonietta Aprikosen und entsteinte sie. Sie wog
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