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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco
Autoren: Bernhard Jaumann
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sie nicht viel zu sagen gehabt hatten. Sie waren den Entscheidungen der Väter, Männer, Brüder unterworfen gewesen, seit sie denken konnten, sie waren in eine passive Rolle gedrängt worden und hatten Tag für Tag, Jahrfür Jahr gelernt, damit umzugehen. Für sie war es nichts Neues, Situationen zu bewältigen, für die sie nichts konnten und die wie aus heiterem Himmel auf sie einstürzten. Das geschah schließlich andauernd. Der Alltag bereitete sie auf die großen Schicksalsschläge vor, sei es nun eine Zwangsheirat vor zweihundert Jahren, sei es, daß der Mann das Familienvermögen beim Glücksspiel in einer Nacht durchbrachte oder der Tod in der Nachbarschaft einkehrte.
    Und so übernahmen die Frauen das Dorf. Lidia Marcantoni und Fiorella Sgreccia, die beiden Alten, wichen Giorgios Mutter Assunta nicht von der Seite. Sie stützten sie auf dem Weg zur Kirche, zündeten für sie die Kerzen vor dem Bild der Jungfrau und vor dem Kruzifix am Seitenaltar an, beteten zusammen einen Rosenkranz, beteten noch einen zweiten. Auf dem Rückweg hakten sie sich bei Assunta unter, folgten ihr ins verdunkelte Zimmer und redeten ihr tröstend zu, wenn die Trauer um den einzigen Sohn in Weinkrämpfen herausbrach. Als Assunta Lucarelli endlich in einen unruhigen Schlaf verfiel, wachte die alte Marcantoni am Fuß ihres Bettes. Fiorella Sgreccia würde sie drei Stunden später ablösen.
    Marta Garzone begleitete Antonietta Lucarelli in die Stadt. Paolo Garzone hatte sich angeboten, Antonietta herumzufahren, doch Marta hatte ihm den Autoschlüssel aus der Hand genommen und gesagt, daß es mit Herumfahren nicht getan sei.
    »Zuerst müssen wir mit dem Bestattungsunternehmen verhandeln und den Pfarrer verständigen. Die Kränze sind zu bestellen. Die Todesanzeige muß entworfen und in Druck gegeben werden. Dann wartet das Meldeamt, die Lebensversicherung und und und.«
    Paolo hatte irgend etwas gebrummt, und Marta hatte gesagt, sosehr sie seine kräftigen Arme schätze, wenn es darum gehe, die Zwanzig-Liter-Weinballons in den Vorratsraum der Bar zu tragen, müsse er doch zugeben, daß sie nun mal besser organisieren könne.
    Antoniettas Haushalt wurde zur öffentlichen Angelegenheit. Elena Sgreccia hatte das Kommando übernommen. Sie räumte auf, putzte die Küche auf Hochglanz und koordinierte die Aufgaben der anderen Frauen. Marisa Curzio brachte eine Schüssel voll dampfender Tagliatelle al ragù zum Mittagessen, während Milena Angiolini ihren Schminkkoffer anschleppte und die beiden Mädchen den ganzen Nachmittag mit Wimperntusche und Lippenstiften von Zartrosa bis Dunkelviolett beschäftigte.
    Sogar Costanza Marcantoni schaute gegen Abend vorbei. Sie erzählte Sabrina und Sonia die Geschichte vom Sprovengolo, einem katzenartigen Wesen, das sich nachts auf den Bauch der Schlafenden setze und für Magengrimmen sorge. Der Sprovengolo habe Haare aus purem Gold, und wer ihn zu fassen bekomme, wäre sein Lebtag lang reich und glücklich, doch sei es noch keinem gelungen, denn der Sprovengolo sei schnell wie der Blitz.
    Auf der Kommode stand links ein Reiher aus bunt schimmerndem Muranoglas und rechts eine leere Blumenvase. Wie Altarkerzen umrahmten sie die drei Fotos dazwischen. Auf zweien davon posierten Brautpaare. Das ältere zeigte in verblaßten Sepiatönen Vannonis verstorbene Eltern, und auf dem anderen sahen sich Elena und Angelo Sgreccia verliebt in die Augen. Auf dem Foto im rechten Rahmen war Catia zu erkennen. Sie stand in einem weißen Kleid vor einem verschwommenen Hintergrund und umklammerte mit beiden Händen eine viel zu große Kerze. Sie hatte dünne Beinchen, und ihre Füße in den weißen Schuhen waren ein wenig nach innen gedreht. Daß sie von schräg oben abgelichtet worden war, ließ sie noch verlorener aussehen. Sie kniff die Lippen zusammen, so daß ihr Mund einem dünnen Strich glich.
    »Das war bei ihrer Erstkommunion. Nach der Kirche haben wir im Nido dell’astore gegessen und sind dann insFiabilandia gefahren«, sagte Angelo Sgreccia. »Es war ein schöner Tag.«
    Das Fiabilandia war ein Märchenpark bei Rimini. Matteo Vannoni hatte davon gehört. Sicher war das für ein achtjähriges Mädchen ein schöner Tag gewesen. Vannoni fragte: »Sie ist jetzt gar nicht da?«
    Angelo zuckte die Schultern und setzte ein Du-weißt-doch-wie-die-jungen-Mädchen-heute-sind-Lächeln auf. Vannoni wußte es nicht. Er hatte keine Ahnung, wie die jungen Mädchen von heute waren. Und er kapierte schon gar nicht, was seine
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