Die Vipern von Montesecco
sollte mal nachsehen, ob noch zu finden ist, was wir damals in die Bänke geschnitzt haben.«
Blitze, einen Rundparcours für die Kügelchen aus den Füllerpatronen, Sprüche wie »Gott ist tot«, pfeildurchbohrte Herzen, die Initialen diverser Mädchen. Vannoni brauchte nicht nachzusehen. Er sagte: »Freut ihr euch schon auf Catias Kleines?«
Angelo nahm sich eine dick geschnittene Scheibe Weißbrot und brach sie auseinander.
»Sie hat es dir gesagt?« fragte Elena.
»Nett von ihr, nicht?« sagte Vannoni. »Nur spielt sie mir im Moment noch unbefleckte Empfängnis vor.«
»Wir wissen auch nicht mehr«, sagte Angelo. Das Weißbrot bröselte zwischen seinen Fingern.
»Mit wem geht sie denn üblicherweise ins Bett?« fragte Vannoni. Er spießte ein paar Nudeln auf.
»Was sollen wir denn tun?« fragte Angelo.
»Du kannst sie nicht zwingen«, sagte Elena. »Catia nicht.«
»Wir müssen ihr Zeit geben«, sagte Angelo.
»Du auch«, sagte Elena. »Und du mußt ihr zeigen, daß du hinter ihr stehst.«
Es waren Floskeln. Hilfloses Gewäsch. Die beiden taten sich leicht, doch Vannoni war Catias Vater. Er hatte einiges gutzumachen. Er hatte sie zu lange vernachlässigt, um Probleme jetzt einfach aussitzen zu können. Er sagte: »Die Rigatoni sind ausgezeichnet. Gibt es auch noch ein Secondo?«
»Hör zu, Matteo«, sagte Elena. »Wir haben Catia alles gegeben, was wir ihr geben konnten. Du hast es nicht für nötig befunden, dich mal zu bedanken, und das verlangen wir auch gar nicht, denn wir haben es gern getan. Und wir werden es auch weiterhin tun.«
»Aber deine Vorwürfe kannst du dir sparen«, sagte Angelo.
»Es geht um Catia. Es nützt ihr nichts, wenn wir drei uns jetzt ...«, sagte Elena.
»Bevor du auf treusorgenden Vater machst, schau erst mal, daß du mit dir selbst klarkommst!« sagte Angelo.
Vannoni legte die Gabel in den Teller. Er stand auf und warf einen Blick auf Catias Foto neben der Blumenvase. Ein fremdes, verkniffenes kleines Mädchen mit Kommunionkerze. Vannoni sagte: »Herzlichen Dank für die wirklich ausgezeichneten Rigatoni!«
Er ging zur Tür. In seinem Rücken hörte er Elenas Stimme. Sie rief ihm nach: »Matteo ...!«
Carlo Lucarelli blieb die ganze Nacht und den nächsten Tag aus, ohne etwas von sich hören zu lassen. Als endlich sein Motorrad schwer den Berg heraufknatterte, stand die Mondsichel über Nidastore, und ein Stern nach dem anderen bohrte sich durch den schwärzer werdenden Himmel. Die Glühwürmchen unterhalb der letzten Häuserreihe blinkten ihnen geheime Botschaften zu.
Als der alte Lucarelli in die Piazza einbog und vor seinem Haus bremste, waren schon die Nachbarn zusammengeströmt. Lucarelli stieg ab, bockte die Ducati auf, zog seine Jacke aus und drückte sie Assunta in die Hand.
»Vipernbiß«, sagte er. »Die Todesursache ist eindeutig und ausschließlich der Vipernbiß, sagen sie. Das Gift hat zu Herzversagen und Atemstillstand geführt. Die Wunde am Kopf hat nichts damit zu tun. Wahrscheinlich sei er gestürzt und auf einen Stein geschlagen, sagen sie, aber mehr als eine Gehirnerschütterung könne das nicht bewirkt haben. Fremdeinwirkung ist nicht nachweisbar. Es war die Viper, sagen sie.«
Die Grillen zirpten ihr Lied, das zur Sommernacht gehört wie die Dunkelheit selbst. Es war ein Unglück gewesen. Eine besonders giftige Viper. Kein Mensch konnte etwas dafür. Man konnte niemanden zur Rechenschaft ziehen. Man mußte sich damit abfinden.
Assunta strich die Jacke glatt und legte sie zusammen. Die anderen blickten Carlo Lucarelli an. Er war ein alter Mann. Haupthaar und Schnurrbart waren schlohweiß, der Rücken krumm. Schon vor Jahren hatte er an Giorgio übergeben und sich aus dem Dorfleben mehr und mehr zurückgezogen. Doch noch immer hatte sein Wort Gewicht. Und alles, was er tat.
Er blickte von einem zum anderen, doch sie verstanden erst, als er Sgreccia zur Seite schob, den Kreis der Nachbarndurchquerte und mit langsamen Schritten Richtung Bar ging, statt im eigenen Haus zu verschwinden und sich mit seinem Schmerz einzuschließen. Sie verstanden, daß sich der alte Mann mit gar nichts abgefunden hatte. Die Ärzte, die Polizisten und wer auch immer konnten sagen, was sie wollten, doch Carlo Lucarelli hatten sie nicht überzeugt.
Nicht nur aus Neugier folgten sie ihm, nach links, die Gasse hoch, sie spürten die Entschlossenheit dieses buckligen alten Männchens und wurden von ihr fast magnetisch mitgezogen, an den geschlossenen Läden von Pozzi
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