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Die Violine des Teufels

Die Violine des Teufels

Titel: Die Violine des Teufels
Autoren: Joseph Gelinek
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Macht nach Art der alten Samurais auf die rechte Seite, um sich die Eingeweide zu zerfetzen. Zuletzt führte er den Stachel zurück in die Bauchmitte, und obwohl der Stachel keine Schneide hatte, versuchte Rescaglio noch mit einem grauenerregenden Schrei, ihn bis zum Brustbein hochzuziehen.
    »Ich flehe Sie an«, flüsterte er Perdomo zu und war kaum zu verstehen, weil ihm Blut aus dem Mund quoll, »jetzt müssen Sie mir helfen!«

57
    Am nächsten Tag
    P erdomo lehnte die Lilie, die er für Milagros gekauft hatte, an die Eichenholztür ihres Einfamilienhauses und ging hastig zu seinem Auto zurück, das er wenige Meter entfernt in zweiter Reihe abgestellt hatte, im Leerlauf und mit halb offen stehender Fahrertür. Er kam sich vor wie ein Schüler, der Klingelmännchen spielt. Nur dass er die Klingel gar nicht betätigt hatte, weil er genau im Gegenteil nicht wollte, dass Milagros seinen Besuch bemerkte. Die Lilie war seine Art, dieser außergewöhnlichen Frau für alles, was sie in den vergangenen Wochen für ihn getan hatte, zu danken. Doch er wollte ihr die Blume nicht persönlich übergeben. Milagros sollte sie erst später zusammen mit der beigefügten Grußkarte finden, auf die er einfach nur geschrieben hatte:
    Danke. Für alles.
    Viele Grüße,
    RAÚL
    Als er die Blume gekauft hatte, hatte er sie ihr noch persönlich übergeben wollen, doch dann hatte er es sich im letzten Augenblick anders überlegt, weil er befürchtete, sie könnte die Geste missverstehen und denken, er wolle um sie werben. Milagros war ihm von Anfang an als attraktive Frau erschienen, doch er wollte sich keinesfalls das Leben schwer machen, jetzt, da die Sache mit Elena sich endlich in die gewünschte Richtung entwickelte. Perdomo wusste, wie man sich höflich oder sogar warmherzig verhielt, ohne jedoch zu flirten, aber er hatte keine Ahnung, wie die Hellseherin das aufnehmen würde. Während der Reise nach Nizza hatte er den Eindruck gewonnen, dass Milagros sich zu ihm hingezogen fühlte. Bei dem Mittagessen in Orozcos Haus beispielsweise hatte er sie mehrfach dabei ertappt, wie sie ihn angesehen hatte, als wäre sie über seine bloße Gegenwart entzückt. Und auf dem Rückflug nach Madrid hatten ihre Hände sich auf der Armstütze so häufig gestreift, dass er gedacht hatte, jener feine Körperkontakt – der ihm andererseits nicht unangenehm gewesen war – könne kein Zufall gewesen sein.
    Als er sein Auto beinahe erreicht hatte und schon flüchten wollte, hörte er, wie die Haustür geöffnet wurde, und dann rief Milagros: »Raúl!«
    Er wandte sich zu Milagros um und sah, dass sie die Blume in der Hand hielt und ihn von ihrer Türschwelle aus amüsiert ansah.
    »Ich dachte, du arbeitest, und ich wollte nicht stören«, sagte er und ging auf sie zu.
    Er wollte sie links und rechts auf die Wange küssen, wie er es seit ihrer ersten Begegnung tat, doch sie verstieß gegen das Protokoll und küsste ihn auf den Mund. Es war ein kurzer, keuscher Kuss, beinahe maskulin, wie die Küsse, welche die sowjetischen Politiker früher in der Öffentlichkeit ausgetauscht hatten, aber es war trotz allem ein Kuss auf den Mund. Milagros entging seine Bestürzung nicht, und sie bemühte sich sofort, ihn zu beruhigen, indem sie ihr bezauberndstes Lächeln aufsetzte.
    »Das ist für die Lilie«, erklärte sie. »Woher wusstest du, dass das meine Lieblingsblume ist?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Eigentlich müsste ich jetzt wirklich arbeiten, aber ein autistisches Kind hat mich versetzt, und so habe ich jetzt noch zwanzig Minuten Zeit bis zum nächsten Patienten. Willst du nicht reinkommen?«
    Sie ließ ihn in der Diele warten, während sie eine Vase für die Lilie holte. Gleich darauf kam sie mit der Lilie in einer gläsernen Vase zurück und stellte sie auf einen Ehrenplatz im Wohnzimmer, in dem Perdomo bisher noch nie gewesen war.
    »Und deine Mutter? Ich dachte, das hier ist ihr Territorium.«
    »Sie verbringt ein paar Tage in den Bergen bei meinem Bruder, wir sind also allein.«
    »Wie kommt es, dass du mich bemerkt hast?«, fragte Perdomo, nachdem er sich aufs Sofa gesetzt hatte.
    Sie lächelte bei der Erinnerung daran, wie sie ihn in flagranti ertappt hatte, bevor er ins Auto hatte steigen können, und prahlte kokett: »Vergiss nicht, dass ich eine Hexe bin. Ich wusste, dass du heute Vormittag kommst.«
    Dann ging sie zur Stereoanlage, und eine innere Stimme schrie Perdomo zu: »Hoffentlich legt sie keine Musik auf, um Gottes
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