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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh
Autoren: Franz Werfel
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allein!! Und deshalb werde ich nicht an Bord der ›Jeanne d’Arc‹ gehn, sondern auf den Transportdampfer. Dort gibt es nur wenige Offiziere. Man wird mir wohl eine eigene Koje zuweisen und ich werde Ruhe haben …«
    Samuel Awakian machte ein ziemlich entsetztes Gesicht:
    »Das Transportschiff, Effendi, das kommt ganz gewiß in Quarantäne.«
    »Die Quarantäne schreckt mich nicht …«
    »Es kann aber eine Gefangenschaft werden, die länger als vierzig Tage dauert …«
    »Wenn ich es will, wird man mich freilassen …«
    Awakian suchte nach stichhältigen Einwänden:
    »Sie beleidigen damit den Contre-Admiral, der schließlich unser Engel war.«
    »Das ist es ja … Und da müssen Sie mir eben helfen, Awakian! Sie lassen sich sofort in meinem Namen melden und entschuldigen mich mit irgend einem einleuchtenden Grund. Sagen Sie, das Transportschiff sei mit unseren unsichersten Leuten besetzt, die keine Aufsicht haben. In der kurzen Zeit hätte man die Geschichte nicht organisieren können. Jemand aber müsse doch die Ordnung gerade unter diesen Leuten garantieren. Da habe ich es übernommen …«
    Awakian sah recht wenig überzeugt drein. Aber Gabriel blieb fest:
    »Dieser Grund ist wirklich glaubwürdig. Sie können ruhig sein. Ein alter Soldat und Seemann hat für solche Skrupel jedes Verständnis. Es wird ihm weiter nicht auffallen, glauben Sie mir … Nun also, machen Sie es gut, Awakian …«
    Der Student zögerte noch:
    »Dann werden wir uns jetzt ein paar Tage nicht sehn …«
    Diese Worte klangen ängstlich. Gabriel aber blickte zum Landungsponton hin:
    »Höchste Zeit, Awakian! Die Motorbarkasse der ›Jeanne d’Arc‹ dürfte keine neue Fahrt machen. Behalten Sie die Papiere vorläufig bei sich!«
    Das Boot mahnte mit ungeduldigen Abfahrtssignalen, Awakian hatte kaum mehr Zeit, Gabriel die Hand zu drücken. Dieser blickte ihm versunken nach. Dann erkundigte er sich bei einem der Offiziere, wann die Boote zum Transportschiff abgehn würden. Da die meisten Kranken schon an Bord seien, erhielt er zur Antwort, komme die Einschiffung der Ausgesonderten zuletzt. Das kann ja noch stundenlang dauern, meinte Bagradian angesichts der dichten Menge, die sich um die Kommission und auf der Landungsstelle drängte. Er war aber damit gar nicht unzufrieden und freute sich, dem Contre-Admiral und dem Leben auf der ›Jeanne d’Arc‹ entgangen zu sein. Langsamen Schrittes schlenderte er auf den Bergpfad zu. Er hatte so viel Zeit noch, und es war gut, dem Weibergeschrei dort unten und der brennenden Septembersonne in Stille und Schatten zu entkommen. Gabriel mußte am Sammelplatz vorbei, wohin man die Ausgesonderten schickte, damit sie dem begünstigteren Volksteil nicht im Wege stünden. Viele von ihnen freilich, die Friedhofsbewohner voran, hatten sich hier eingefunden, ohne sich erst der Mühsal jener Ungeziefer-Musterung auszusetzen. Bagradian sah seine künftigen Reisegenossen. Sato grinste, lief ein Stück an seiner Seite und streckte ihm bettelnd die Hand entgegen. Das hatte sie in Yoghonoluk niemals getan. Ein paar Deserteure erhoben sich aufdringlich zerknirscht. Nunik und die anderen Klageweiber saßen auf ihren Säcken, deren Moderschätze sie jetzt von der Heimat fort auf einen fremden Erdteil zu entführen gedachten. In der linken Hand hielten sie ihre langen Hirtenstäbe, mit der Rechten berührten sie Brust, Mund und Stirn, um den Herrn zu grüßen, Gabriel Bagradian, den Letzten, Sohn des Mesrop, Enkel des Awetis Bagradian, des großen Wohltäters und Kirchenstifters. Nunik aber, die Zeitlose, grüßte in ihm das Kind, bei dessen Geburt sie heimlich mitgewirkt hatte, vor Bedros Hekim wohlverborgen, mit dem Sis Kreuze an Tür und Wände malend, um den Dämon zu vertreiben. Die blinden Greise mit den Prophetenhäuptern hockten leise singend auf der Erde. Dicke Fliegen saßen auf ihren Augenhöhlen. Sie verscheuchten sie nicht. Ungerührt durch das Gewesene, unbekümmert um das Künftige, sangen die Prophetenhäupter vor sich hin. Sie fragten kaum nach dem, was geschehn war, sie verloren keine Heimatstätte, sie horchten nur dem inneren Rauschen und ließen sich von Nunik, Wartuk, Manuschak, den Blindenführerinnen, leiten, wohin es diesen beliebte. Zufrieden klagend tönte ihr dünnes Summen und das entzückte Zittern im Diskant.
    Gerade dieses Summen aber machte Gabriel das Herz schwer. Es lockte Stephan herbei. Er ging den Bergpfad immer weiter, um den Gesang der Blinden nicht mehr hören zu
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