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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh
Autoren: Franz Werfel
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dieses Kreuzers umher, in den ungewohnten Wonnen westlicher Zivilisation schwelgend. Die Muchtars wiederum schienen ihr Schulzenamt als beendet anzusehn und sich nur mehr als Familienväter zu fühlen, ebenso die verehelichten Dorfpriester und der Rest der Lehrer. Sie kümmerten sich jedenfalls um nichts. So oblag es Ter Haigasun allein, die Interessen des Volkes wahrzunehmen, das heißt bei den Offizieren und Ärzten dahin zu wirken, daß die Familien nicht unnötig auseinandergerissen würden und daß auch der Transportdampfer die richtigen Insassen erhielt. Gabriel Bagradian trat zu der Musterungskommission, die in der Nähe der Landungsbrücke amtierte. Er legte die Hände auf Ter Haigasuns Schultern. Dieser kehrte ihm sein Gesicht zu, das wieder wächsern ruhig war wie immer. Nur der versengte Bart und das Brandmal sprachen von den letzten Ereignissen auf dem Damlajik. Er ließ seinen scheuen und doch festen Blick in Gabriels Blick weilen, was in all dieser Zeit nur ganz selten geschehen war:
    »Gut, daß ich Sie sehe, Gabriel Bagradian … Ich habe eine Frage an Sie …«
    Ter Haigasun sprach leise, obgleich die Franzosen sein armenisches Wort auf keinen Fall verstanden hätten:
    »Die beiden Ärgsten sind ja verschwunden, Oskanian und Kilikian meine ich, und einige andre noch …«
    »Kilikian ist tot«, sagte Gabriel und empfand nicht das geringste dabei. In Ter Haigasuns Augen zuckte es kurz, als habe er begriffen. Dann wies er auf eine Felsplatte, wo sich ein Haufen armenischer Männer drängte:
    »Meine Frage an Sie … Haben die Schurken ein Recht, gerettet zu werden? … Müßte ich sie nicht zurückjagen …?«
    Gabriel überlegte seine Antwort keinen Augenblick:
    »Hatten wir ein Recht, gerettet zu werden? … Und sind wir die Retter? … Jedenfalls haben wir als Gerettete kein Recht, irgendwen von der Rettung auszuschließen.«
    Ter Haigasun lächelte leicht:
    »Gut … Ich wollte mich nur vergewissern …«
    Der Priester bot nicht mehr den beklagenswerten Anblick von heute morgen. Einer der Schiffsgeistlichen hatte ihm einen Rock geliehen. Sein altes Bedürfnis, die Hände in der Kutte zu verbergen, zwang ihn nun, mit einer ungewohnten Bewegung in die Rocktaschen zu fahren:
    »Es freut mich, Gabriel Bagradian, daß wir auch jetzt noch derselben Ansicht sind, wie wir es immer waren …«
    Und das erstemal trat in sein Lächeln ein Ausdruck, der beinahe verschämter Zärtlichkeit glich. Gabriel sah der Musterung eine lange Zeit zu. Da er aber völlig geistesabwesend war, sah er nur ein leeres Hin und Her. Ter Haigasun verwunderte sich nach einer Weile:
    »Sie sind noch immer hier, Bagradian? Das Motorboot der ›Jeanne d’Arc‹ kommt eben zurück … Sehn Sie! … Sie müssen mir hier nicht helfen. Ihre Pflicht ist getan und gesegnet. Die meine noch nicht. Gehn Sie mit Gott und ruhen Sie sich aus. Ich werde auf dem ›Guichen‹ sein …«
    Irgend ein innerer Widerstand verhinderte Gabriel, sich endgültig zu verabschieden: »Vielleicht sehe ich mich hier noch einmal nach Ihnen um, Ter Haigasun …«
    Er drängte sich wieder durch die Wartenden und ging ohne Ziel ein paar Schritte auf den Bergpfad zu. Awakian kam ihm entgegen. Hinter diesem schleppten Kristaphor, Missak, Kework das Gepäck des Hauses Bagradian. Der Getreue hatte alles gerettet, was sich mit Menschenkräften über den Steilpfad hinabtragen ließ. Nur die Bettstellen und der Hausrat waren in den Zelten zum Tode verurteilt worden. Gabriel lachte:
    »Halloh, Awakian … Warum diese Mühe? Das sieht ja aus, als gingen wir auf eine üppige Vergnügungsreise nach Ägypten …«
    Der Student sah seinen Patron hinter der vernickelten Brille strafend an, mit der Miene eines armen Mannes, der den Wert der Dinge besser zu beurteilen weiß als ein ahnungsloser Reicher. Gabriel aber nahm ihn unterm Arm und hielt ihn fest:
    »Ich brauche noch einmal Ihre Hilfe, Awakian, mein Freund … Die ganze Zeit denke ich darüber nach, wie sich das machen läßt … Mein Ruhebedürfnis ist grenzenlos. Doch gerade Ruhe werde ich in den nächsten Tagen nicht finden. Der Contre-Admiral hat mich eingeladen, an seiner Tafel zu speisen. Ich werde also mit einer Menge von gleichgültigen Leuten stundenlang reden müssen, erzählen, prahlen oder bescheiden tun, alles gleich peinlich. Eine neue Gefangenschaft jedenfalls. Ich will das nicht. Verstehn Sie, Awakian? Ich will das nicht! Ich will diese drei Tage wenigstens allein sein, ganz und gar
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