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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh
Autoren: Franz Werfel
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irgend ein Ende da, aber nicht unsres, Gabriel …«
    Gabriels Augen verstanden weder so gut zu sprechen noch auch so gut zu lesen wie die Iskuhis. Darum sagte er auch etwas ganz Falsches:
    »Es ist nur ein kleiner Kollaps, Iskuhi … Der Hunger …« Und zum Hilfsarzt gewandt, fuhr er französisch fort:
    »Der Doktor meint dasselbe. In drei Tagen, wenn wir in Port Said ankommen, wirst du völlig erholt sein … Du bist ja noch so jung, so jung, Iskuhi …«
    Ihre Augen verfinsterten sich und entgegneten streng:
    »Solche banalen Worte solltest du in dieser Minute gar nicht sprechen, Gabriel. Ob ich leben oder sterben werde, ist mir ganz gleichgültig. Du irrst dich, wenn du meinst, daß ich mich nach dem Tode sehne. Vielleicht werde ich leben. Aber weißt du nicht, daß alles anders sein wird, wenn uns die Schiffe aufgenommen haben, auch du und ich. Nur solange wir noch die Erde des Musa Dagh unter uns haben, gehören wir einander, du als meine Liebe und ich als deine Schwester.«
    Nicht alles, aber manches schien Gabriel verstanden zu haben. Wie eine Spiegelung ihrer Augen-Worte drang es leise aus ihm:
    »Ja, wo werden wir sein … ich und du … Schwester?«
    Ihr Mund öffnete sich zum erstenmal, zwei leidenschaftliche Silben zu bilden, die allem Früheren widersprachen:
    »Bei dir …«
    Die Tragbahren wurden aufgenommen und der unbeschwerliche Rest des Weges fortgesetzt. Schon schlug Stimmengewirr empor. Unten an der Küste herrschte auf den engen Felsplatten ein lebensgefährliches Gedränge, das durch eine Anzahl von Matrosen noch gesteigert wurde, die sich unter irgend einem Vorwand die Erlaubnis erbeten hatten, an Land zu gehn. Auch war die Einschiffung schon im Gang, die sich unter hundert Verwirrungen und mit wildem Geschrei entwickelte. Gabriel Bagradian wurde von allen Seiten mit Bitten, Wünschen, Forderungen, Fragen bestürmt. Die Volksgenossen brachten das Wunder der Rettung ohne einen vernünftigen Grund mit ihm in geheimnisvolle Verbindung. Er war ja, als ein Verwandter des mächtigen Frankreich, der gottgesandte Mann, seinen Landsleuten vom Musa Dagh auch draußen im Exil weiterzuhelfen. Insbesondere seine Gegner im Führerrat, die Schulzen, Thomas Kebussjan und die Muchtarin mit den raschen Mausaugen allen andern voran, konnten sich jetzt in kriecherischen Anbiederungen nicht genug tun. Er mußte sich durch eine Flut erregter Protektionsbitten durchkämpfen. Als er dann zu der Landungsstelle kam, war das Boot mit Aram und Iskuhi schon abgestoßen, denn auf Befehl des leitenden Offiziers gingen die Krankentransporte allen anderen vor. Auch Juliette war längst schon mit dem Motorboot des Contre-Admirals an Bord der ›Jeanne d’Arc‹ befördert worden. Die Sonne lag in unerträglich grellen Scherben und Splittern auf dem Meere. Viele Boote hielten den Kurs auf die Kriegsschiffe zu, andre bewegten sich gegen die Küste. Iskuhi lag unsichtbar in dem ihren. Gabriel konnte nur die starre Figur Howsannahs erkennen, die das armselige Bündel mit dem Erstgeborenen des Musa Dagh regungslos im Arm hielt.
     
    Die Einschiffung ging überaus langsam vor sich. Es gab viele Schwierigkeiten zu überwinden. Man hätte zwar die größere Hälfte der Dorfgemeinden recht gut auf dem Transportdampfer unterbringen können, dieser bequemen Lösung der Raumfrage aber widersetzten sich die Ärzte. Bei dichter Zusammenpferchung von Tausenden, in der Nähe der Kranken zumal, wäre das Schlimmste zu befürchten gewesen. Man mußte im Gegenteil so verfahren, daß auf jenem Transportschiff nur die Kranken, die Erschöpften, die Verdächtigen, die Verwahrlosten beherbergt und damit von den Besatzungen und dem gesunden Volksteil geschieden wurden. Der leidige Dampfer bildete somit im Hinblick auf die Kreuzer oder gar auf die gewaltige ›Jeanne d’Arc‹ einen Ort des Elends, des Abfalls, des Kehrichts. Eine Kommission, aus Offizieren und Ärzten zusammengesetzt, unterwarf jeden einzelnen Armenier einer Gesundheits- und Ungezieferprüfung, ehe man ihm seine Einteilung zuwies. Man ging dabei sehr streng vor. Wer nur den geringsten Zweifel erregte, wurde auf das Transportschiff verbannt. Von den Führern des Musa Dagh befand sich bei dieser Musterungskommission einzig und allein Ter Haigasun. Die Kräfte Bedros Hekims waren im Laufe der Stunden immer bedenklicher verfallen. Der Chefarzt hatte ihn schon vor längerer Zeit auf den ›Guichen‹ bringen lassen. Auch Lehrer Hapeth Schatakhian trieb sich bereits an Bord
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