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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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nur um blutig niedergeworfen zu werden. Anderswo wurden die Reformer vom Hochadel unterstützt, zweifellos aus selbstsüchtigen, politischen Gründen. Und doch erschien ihm all dies wie die Geburtswehen einer neuen Zeit.
    In Köln aber hatte der Erzbischof und Kurfürst Hermann von Wied alles in fester Hand. Vor vierzehn Jahren hatte er Luthers Schriften öffentlich verbrennen lassen, und es war nicht so lange her, dass man die Prediger Fliesteden und Clarenbach auf den Scheiterhaufen gezerrt hatte. Außerdem hatte von Wied erst kürzlich ein Edikt erlassen, wonach geheime Versammlungen der neuen Lehre verboten, die »Winkelprediger« und deren Anhänger, wie es in der Schrift wörtlich hieß, »ohne alle Gnade zu strafen« und überhaupt »solches Unkraut auszurotten und zu vertilgen« sei.
    Seitdem lebte Mathis in Angst und Schrecken. So sehr er sich der Sache verpflichtet fühlte, war er doch nicht zum Märtyrer geboren. Immer seltener hatte er den verbotenen Zusammenkünften beigewohnt. Schließlich musste er an die Zukunft seiner Kinder denken. Er würde sich zurückziehen. Gleich heute Abend war Gelegenheit, den anderen Brüdern die Entscheidung mitzuteilen.
    Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er schon eine ganze Weile an der gleichen Uferstelle verharrt und in den Fluss gestarrt hatte. Ein breiter Anlegesteg ragte weit in die Strömung hinaus, und zwischen Holzpfeilern und Sandufer hatte sich durch angeschwemmtes Treibholz ein Winkel toten Wassers gebildet, auf dem Herbstlaub, Unrat und fauler Schleim schwappten.
    Hier hatte man vor knapp zwei Monaten Andreas Imhoffs Leiche gefunden, mit dem Gesicht nach unten in der stinkenden Brühe treibend. Am Tag zuvor war der Mann noch bei guter Gesundheit gewesen, dann nur noch ein Stück Treibgut, das der Fluss ans Ufer gespuckt hatte. Der Gedanke ließ Mathis schaudern.
    Dass gelegentlich Tote im Wasser trieben, war nicht ungewöhnlich. In einer großen Handelsstadt wie Köln führte manches Gesindel seine dunklen Geschäfte. Gewalt unter Rivalen, Messerstechereien zwischen Seeleuten, aufmüpfige Huren, Landstreicher, die sich zu Tode gesoffen hatten oder im Winter an einer Straßenecke erfroren waren. Genug unbekannte Opfer, die die Stadtwache kurzerhand in den Fluss warf, weil niemand für eine christliche Beerdigung zahlen wollte.
    Dass man sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, Andreas’ Leiche aus dem Wasser zu fischen, war nur seiner feinen Kleidung zu verdanken, denn ein toter Bürger verdiente selbstverständlich eine andere Behandlung. Laut Untersuchung hatte Andreas eine Kopfverletzung davongetragen. War es Mord gewesen? Oder nur ein Unfall? Vielleicht war er irgendwo von der Uferböschung auf einen Felsen gestürzt. Ein Rätsel, das zu allerlei Gerede und Mutmaßungen geführt hatte.
    Beim Klang einer Kirchenglocke schreckte von Homburg hoch. Er wandte sich ab und machte sich eilig auf den Weg zu seiner Kanzlei, die sich auf der anderen Seite des Neumarktes befand.
    Elspeth irrte, wenn sie Agnes Imhoff beneidete. Hinter der ehrbaren Fassade war ihr Mann Andreas in Wahrheit ein Spieler und Schelm gewesen, der es geschafft hatte, mit seiner Verschwendungssucht das elterliche Vermögen durchzubringen. Wer wusste dies besser als sein Anwalt? Hatte er, Mathis, ihn doch oft genug mit juristischen Kniffen aus einer brenzligen Lage gerettet.
    Er zwängte sich durch das rege Treiben auf dem Neumarkt, wo ihn gelegentlich jemand ehrerbietig grüßte, was er mit einem gefälligen Kopfnicken beantwortete. Dann trat er in die Gasse, in der seine Kanzlei lag.
    Das feine Fachwerkhaus gehörte einer ältlichen Witwe, und im Handelskontor ihres verstorbenen Gatten war die Kanzlei entstanden. Ein großer Vorraum, in dem sich seine zwei Schreiber an Stehpulten mühten, mit ein paar unbequemen Stühlen für Besucher und einer Regalwand, die vom Boden bis zur Decke mit Büchern und Folianten vollgestopft war. Nicht alle von besonderer Bedeutung. Doch sie vermittelten den Eindruck höchster Gelehrsamkeit, was die meisten von Mathis’ Mandanten gebührend einschüchterte, bevor sie das Allerheiligste, seinen eigenen Raum, betreten durften. Im hinteren Bereich des Hauses war das alte Lager zum Aktenarchiv umgestaltet worden, wo Aufzeichnungen der haarsträubendsten Geschichten aus zwanzig Jahren Anwaltspraxis schlummerten.
    Mathis erklomm die drei Stufen und hatte kaum die Hand auf die Klinke gelegt, da wurde die Tür schon von innen aufgerissen. Im Rahmen stand Augustin,
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