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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand
Autoren: John Irving
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Begriff sind und instinktiv zum Kern der Sache kommen. Beim Fernsehen gibt es kein Zaudern. Jemand, der sich für eine Handtransplantation entscheidet, fackelt nicht lange, oder?
    Wie auch immer, er hieß Patrick Wallingford, und er hätte seine Berühmtheit, ohne zu zögern, gegen eine neue linke Hand eingetauscht. Zur Zeit des Unfalls war Patrick in der Welt des Fernsehjournalismus auf dem Weg nach oben. Er hatte für zwei der drei großen Sender gearbeitet und sich dort wiederholt darüber beklagt, welch üblen Einfluß die Einschaltquoten auf die Nachrichtensendungen hatten. Wie oft war es vorgekommen, daß irgendein Programmdirektor, der sich in der Männertoilette besser auskannte als im Regieraum, eine »Marketingentscheidung« traf, die eine Meldung verwässerte? (In Wallingfords Augen hatten die Programmdirektoren vor den Marketingexperten kapituliert.) Patrick glaubte, schlicht gesagt, daß die finanziellen Erwartungen der Sender an ihre Nachrichtenredaktionen der Tod der Nachrichten waren.
    Warum wurde eigentlich erwartet, daß Nachrichtensendungen ebensoviel Geld einbrachten wie das, was bei den Sendern Unterhaltung hieß? Warum stand eine Nachrichtenredaktion überhaupt unter dem Druck, Gewinn machen zu müssen? Nachrichten waren nicht das, was in Hollywood passierte; Nachrichten waren auch nicht die Baseballmeisterschaften oder der Super Bowl. Nachrichten (und damit meinte Wallingford echte Nachrichten - das heißt fundierte Berichterstattung) sollten mit irgendwelchen Serien nicht um Einschaltquoten konkurrieren müssen. Patrick Wallingford arbeitete noch für einen der großen Sender, als im November 1989 die Berliner Mauer fiel. Er war begeistert, daß er in einem solchen historischen Moment in Deutschland war, aber die Berichte, die er von Berlin aus lieferte, wurden ständig gekürzt - manchmal auf die Hälfte der Länge, die sie nach seinem Empfinden verdienten. Ein Programmdirektor im Nachrichtenstudio in New York sagte zu Wallingford: »Nachrichten in der Kategorie Außenpolitik sind einen Scheißdreck wert.«
    Als ebendieser Sender seine Büros in Übersee zu schließen begann, tat Patrick den Schritt, den auch schon andere Fernsehjournalisten getan haben. Er wechselte zu einem reinen Nachrichtensender; es war kein besonders guter Sender, aber es war immerhin ein rund um die Uhr sendender internationaler Nachrichtenkanal.
    War Wallingford so naiv zu glauben, ein reiner Nachrichtensender würde nicht auf die Einschaltquoten achten? Tatsächlich schwärmte man bei dem internationalen Sender für minutengenaue Einschaltquoten, mit deren Hilfe sich präzise bestimmen ließ, wann die Aufmerksamkeit der Zuschauer zunahm oder nachließ.
    Dennoch war man sich unter Wallingfords Kollegen in den Medien im wesentlichen einig, daß er offensichtlich das Zeug zum Moderator hatte. Er sah unbestreitbar gut aus - sein scharfgeschnittenes Gesicht war fürs Fernsehen perfekt geeignet -, und er hatte seine Erfahrungen als Sonderkorrespondent gemacht. Mit zu den bittersten zählte eigenartigerweise die Feindschaft seiner Frau.
    Mittlerweile war sie seine Exfrau. Er schob das auf die vielen Reisen, aber seine damalige Frau versicherte, das Problem seien andere Frauen. Einmalige sexuelle Begegnungen hatten es Patrick tatsächlich angetan, und das blieb auch weiterhin so, ob er nun reiste oder nicht. Kurz vor Patricks Unfall hatte jemand eine Vaterschaftsklage gegen ihn angestrengt. Obwohl die Klage abgewiesen wurde - der DNS-Test war negativ -, erboste schon die bloße Unterstellung seiner Vaterschaft Wallingfords Frau. Neben der offenkundigen Untreue ihres damaligen Ehemannes hatte sie einen weiteren Grund, aufgebracht zu sein. Obwohl sie schon so lange Kinder wollte, hatte Patrick sich standhaft geweigert. (Auch das schob er auf die vielen Reisen.)
    Mittlerweile pflegte Wallingfords Exfrau - sie hieß Marilyn - zu sagen, sie wünschte, ihr Exmann hätte mehr als nur seine linke Hand verloren. Sie hatte rasch wieder geheiratet, war schwanger geworden, hatte ein Kind bekommen; dann hatte sie sich wieder scheiden lassen. Außerdem sagte Marilyn gern, die Wehenschmerzen bei der Geburt des Kindes - sosehr sie es sich gewünscht hätte - seien größer gewesen als Patricks Schmerzen beim Verlust seiner linken Hand.
    Patrick Wallingford war kein aufbrausender Mensch; eine normalerweise ausgeglichene Gemütsverfassung gehörte ebensosehr zu seinem Markenzeichen wie sein unverschämt gutes Aussehen. Doch die Schmerzen beim
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