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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand
Autoren: John Irving
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wahrgenommen, so bruchstückhaft wie Wetterleuchten - genau wie er es in Erinnerung hatte.
    »Bitte wirf sie weg«, bat ihn Mrs. Clausen. »Ich habe es versucht, aber ich schaffe es einfach nicht. Bitte schmeiß sie einfach weg.« »Okay«, sagte Patrick.
    Sie weinte wieder, und er streckte den Arm nach ihr aus. Nie hatte er von sich aus mit seinem Stumpf ihre Brust berührt. Jetzt konnte er selbst durch den Parka hindurch ihre Brust spüren; als sie seinen Unterarm dort festklemmte, spürte er sie auch atmen.
    »Glaub ja nicht, ich hätte nicht auch etwas verloren«, sagte Mrs. Clausen zornig.
    Sie fuhr weiter zum Hotel. Nachdem sie Patrick die Schlüssel gegeben hatte und in die Eingangshalle vorausgegangen war, blieb es ihm überlassen, den Wagen zu parken. (Er beschloß, das von einem Hotelangestellten erledigen zu lassen.)
    Dann beseitigte er die Fotos - er warf sie samt Umschlag in einen Abfallkorb. Er hatte sie nur kurz gesehen, doch was sie besagten, war ihm nicht entgangen. Wallingford wußte, daß Mrs. Clausen ihm soeben alles über ihre Manie mitgeteilt hatte, was sie ihm je mitteilen würde; indem sie ihm die Fotos zeigte, hatte sie die äußerste Grenze dessen erreicht, was sie dazu zu sagen hatte.
    Was hatte Dr. Zajac gesagt? Es gab keinen medizinischen Grund dafür, warum die Handtransplantation nicht gelungen war; Zajac konnte das Rätsel nicht erklären. Doch für Patrick Wallingford, dessen Vorstellungskraft nicht von einer wissenschaftlichen Denkweise eingeengt wurde, war es kein Rätsel. Die Hand hatte ihre Aufgabe erfüllt - das war alles. Interessanterweise hatte Dr. Zajac seinen Studenten an der Harvard Medical School nur wenig zum Thema »berufliche Enttäuschung« zu sagen. Zajac fühlte sich in seinem Vorruhestand mit Irma, Rudy und den Zwillingen ausgesprochen wohl; in seinen Augen zog einen berufliche Enttäuschung ebenso nieder wie beruflicher Erfolg. »Seht zu, daß ihr euer Leben auf die Reihe kriegt«, sagte Zajac seinen Harvard-Studenten. »Wenn ihr schon so weit gekommen seid, müßte sich das Berufliche eigentlich von allein ergeben.« Aber was wissen Medizinstudenten schon vom Leben? Zum Leben haben sie noch gar keine Zeit gehabt.
    Wallingford ging zu Doris Clausen, die in der Eingangshalle auf ihn wartete. Trotz all ihrer Pläne hatte sie nichts als eine Zahnbürste mitgebracht, die sie in ihrer Handtasche hatte. Und in ihrer Eile, sich fürs Bett fertigzumachen, vergaß sie, Patrick die Eheringe aus Platin zu zeigen, die sie ebenfalls in ihrer Handtasche hatte. (Sie holte das am nächsten Morgen nach.)
    Während Mrs. Clausen im Bad war, sah sich Wallingford die Spätnachrichten an - aus Prinzip nicht auf seinem früheren Sender. Einer der Sportreporter hatte die Story von Patricks Entlassung bereits einem anderen Sender gesteckt; sie ergab einen guten Abschluß, einen mehr als durchschnittlichen Knaller. »Löwenmann von Pretty Mary Shanahan abgesägt.« (So würde sie von nun an heißen: »Pretty Mary«.) Mrs. Clausen war nackt aus dem Badezimmer gekommen und stand neben ihm.
    Patrick benutzte rasch das Badezimmer, während sich Doris die Zusammenfassung des Spiels von Green Bay ansah. Sie war überrascht, daß Dorsey Levens vierundzwanzigmal über 104 Yards mit dem Ball gelaufen war.
    Als Wallingford, ebenfalls nackt, aus dem Bad kam, hatte Mrs. Clausen den Fernseher schon ausgeschaltet und wartete in dem großen Bett auf ihn. Patrick machte das Licht aus und legte sich neben sie. Sie hielten sich in den Armen und lauschten dabei dem Wind - er blies kräftig, in Böen, aber sie hörten ihn schon bald nicht mehr. »Gib mir deine Hand«, sagte Doris. Er wußte, welche sie meinte. Wallingford begann damit, daß er Mrs. Clausens Kopf in seine rechte Armbeuge bettete; mit der rechten Hand hielt er eine ihrer Brüste. Sie begann damit, daß sie seinen linken Unterarmstumpf zwischen ihren Oberschenkeln einklemmte, wo er spüren konnte, wie die verlorenen Finger seiner vierten Hand sie berührten.
    Der kalte Wind außerhalb ihres warmen Hotelzimmers war ein Vorbote des kommenden Winters, aber sie hörten nur ihr eigenes, heftiges Atmen. Wie andere Liebende nahmen sie den wirbelnden Wind, der in der wilden, gleichgültigen Nacht von Wisconsin immer weiterwehte, gar nicht wahr.

Danksagung
    Danken möchte ich Charles Gibson von ABC News und Good Morning America für sein sechzehnseitiges, mit einzeiligem Abstand getipptes Fax an mich - die detailliertesten Anmerkungen, die ich je zur
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