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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand
Autoren: John Irving
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Zusätzlich zu den Interceptions leistete sich Favre zwei Fumbles. Es gab sogar vereinzelte Buhrufe - in Lambeau eine Seltenheit.
    »Green-Bay-Fans buhen normalerweise nicht«, sagte Donny Clausen und ließ keinen Zweifel daran, daß er nicht buhte. Er beugte sich dicht an Patrick heran; sein gelbgrünes Gesicht ließ ihn noch eine Spur schwachsinniger wirken, als es seinem ohnehin schon beschädigten Ruf als schwachsinniger Adlermörder entsprach. »Wir wollen alle, daß Doris glücklich wird«, flüsterte er Patrick drohend ins Ohr, das unter Ottos alter Mütze warm war.
    »Das will ich auch«, sagte Patrick ihm.
    Aber was, wenn Otto sich umgebracht hatte, weil er Mrs. Clausen nicht glücklich machen konnte? Was, wenn sie ihn dazu getrieben, es ihm sogar auf irgendeine Weise nahegelegt hatte? War es bloß ein typischer Fall von Bammel vor der Hochzeit, der Wallingford diese schrecklichen Gedanken eingab? Keine Frage, daß Doris Clausen ihn dazu treiben könnte, sich umzubringen, falls er sie je enttäuschte. Patrick schlang den rechten Arm um Doris' schmale Schultern und zog sie näher an sich; mit der rechten Hand schob er ihr die Kapuze etwas aus dem Gesicht. Er wollte sie nur auf die Wange küssen, aber sie wandte sich ihm zu und küßte ihn auf die Lippen. Er konnte die Tränen auf ihrem kalten Gesicht spüren, ehe sie sich wieder unter der Kapuze versteckte.
    Gut sechs Minuten vor Spielschluß wurde Favre gegen den Ersatz-Quarterback Matt Hasselbeck ausgewechselt. Mrs. Clausen sah Wallingford an und sagte: »Wir gehen. Den Grünschnabel sehe ich mir nicht an.«
    Einige von den Clausens murrten darüber, daß sie gingen, aber es war ein gutmütiges Murren; selbst Donnys wild bemaltes Gesicht ließ ein Lächeln erkennen.
    Doris führte Patrick an der rechten Hand. Sie stiegen wieder zur Pressekabine hinauf; jemand, der übertrieben freundlich war, ließ sie ein. Es war ein jung wirkender Bursche von athletischem Körperbau - so stämmig, daß er einer der Spieler oder ein ehemaliger Spieler hätte sein können. Doris beachtete ihn nicht weiter, sondern deutete nur nach hinten in seine Richtung, nachdem sie ihn an der Seitentür der Pressekabine hatten stehenlassen. Sie waren schon fast beim Fahrstuhl, als Mrs. Clausen fragte: »Hast du den Kerl da gesehen?«
    »Ja«, antwortete Patrick. Der junge Mann lächelte ihnen noch immer übertrieben freundlich nach, obwohl Mrs. Clausen sich nicht ein einziges Mal zu ihm umgedreht hatte.
    »Das ist der, mit dem ich nicht hätte schlafen sollen«, sagte Doris zu Wallingford. »Jetzt weißt du alles über mich.«
    Im Fahrstuhl drängten sich Sportjournalisten, hauptsächlich Männer. Die Sportreporter verließen das Spiel immer kurz vor Schluß, um sich gute Plätze bei der Pressekonferenz zu sichern. Die meisten kannten Mrs. Clausen; obwohl sie hauptsächlich im Verkauf arbeitete, war sie oft auch für die Ausgabe der Presseausweise zuständig. Die Journalisten machten ihr sofort Platz. Sie schob ihre Kapuze zurück, weil es im Fahrstuhl warm und stickig war.
    Die Reporter gaben Kommentare und Klischees zum Spiel von sich. »Ziemlich spielentscheidende Fumbles ... Holmgren kennt Favre in- und auswendig... Daß Dotson rausgeflogen ist, hat auch nichts gebracht... Erst die zweite Niederlage für Green Bay in den letzten sechsunddreißig Heimspielen... Weniger Punkte haben die Packers nur 96, bei der 21:6-Niederlage gegen Dallas, geholt...«
    »Hat das vielleicht was ausgemacht?« fragte Mrs. Clausen. »In dem Jahr haben wir die Super Bowl gewonnen!«
    »Kommst du auch zur Pressekonferenz, Doris?« fragte einer der Journalisten.
    »Heute nicht«, sagte sie. »Ich habe eine Verabredung.« Die Journalisten machten »Ooh« und »Aah«; irgendwer pfiff. Da sein Armstumpf im Ärmel seines Mantels verborgen war und er noch immer Otto Clausens Mütze trug, glaubte Patrick zuversichtlich, daß er nicht zu erkennen war. Doch der alte Stubby Farrell, der betagte Sportreporter des Nachrichtensenders, erkannte ihn.
    »He, Löwenmann!« sagte Stubby. Wallingford nickte und nahm endlich die Mütze ab. »Bist du abgesägt worden oder was?«
    Plötzlich wurde es still; alle Sportreporter wollten es wissen. Wieder drückte ihm Mrs. Clausen die Hand, und Patrick wiederholte, was er schon den Clausens gesagt hatte. »Ich wollte einfach das Spiel nicht verpassen.«
    Den Reportern, und besonders Stubby, gefiel dieser Spruch, aber Wallingford konnte der Frage dennoch nicht ausweichen. »War es
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