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Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

Titel: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß
Autoren: Robert Musil
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seine Scheu war gewichen. Es reizte ihn förmlich, von sich zu sprechen und seine Gedanken an diesen Köpfen zu versuchen.
    »Ich weiß es nicht genau, Herr Direktor. Als ich das erstemaldavon hörte, schien es mir etwas ganz Ungeheuerliches zu sein, ... etwas gar nicht Vorstellbares ...«
    Der Religionslehrer nickte Törleß befriedigt und aufmunternd zu.
    »Ich ... ich dachte an Basinis Seele ...«
    Der Religionslehrer strahlte über das ganze Gesicht, der Mathematiker putzte seinen Klemmer, rückte ihn zurecht, kniff die Augen zusammen ...
    »Ich konnte mir den Augenblick nicht vorstellen, in dem eine solche Demütigung über Basini hereinbrach, und deswegen trieb es mich immer wieder in dessen Nähe ...«
    »Nun ja, – Sie wollen wohl damit sagen, daß Sie einen natürlichen Abscheu vor dem Fehltritte Ihres Kameraden hatten und daß der Anblick des Lasters Sie gewissermaßen bannte, so wie man es von dem Blick der Schlangen ihren Opfern gegenüber behauptet.«
    Der Klassenvorstand und der Mathematiker beeilten sich, ihre Zustimmung zu dem Gleichnis durch lebhafte Gesten zu erkennen zu geben.
    Aber Törleß sagte: »Nein, es war nicht eigentlich ein Abscheu. Es war so: einmal sagte ich mir, er habe gefehlt und man müsse ihn denen überantworten, die ihn zu bestrafen haben ...«
    »So hätten Sie auch handeln sollen.«
    »... Dann aber erschien er mir wieder so sonderbar, daß ich gar nicht ans Strafen dachte, mich von einer ganz anderen Seite aus ihm gegenüberbefand; es gab jedesmal in mir einen Sprung, wenn ich so an ihn dachte ...«
    »Sie müssen sich deutlicher ausdrücken, mein lieber Törleß.«
    »Das kann man nicht anders sagen, Herr Direktor.«
    »Doch, doch. Sie sind aufgeregt; wir sehen es ja; verwirrt; – was Sie eben sagten, war sehr dunkel.«
    »Nun ja, ich fühle mich verwirrt; ich hatte einmal schon viel bessere Worte dafür. Aber es kommt doch immer auf dasselbe hinaus, daß etwas Wunderliches in mir war ...«
    »Gut, – aber das ist doch wohl selbstverständlich bei dieser ganzen Angelegenheit.«
    Törleß überlegte einen Augenblick.
    »Vielleicht kann man es so sagen: Es gibt gewisse Sachen, die bestimmt sind, gewissermaßen in doppelter Form in unser Leben einzugreifen. Ich fand als solche Personen, Ereignisse, dunkle, verstaubte Winkel, eine hohe, kalte, schweigende, plötzlich lebendig werdende Mauer ...«
    »Aber um Himmels willen. Törleß, wohin verirren Sie sich?«
    Aber Törleß bereitete es nun einmal Vergnügen, alles aus sich herauszureden.
    »... imaginäre Zahlen. ...«
    Alle sahen bald einander, bald Törleß an. Der Mathematiker hüstelte:
    »Ich muß da zu besserem Verständnis dieser dunklen Angaben hinzufügen, daß mich der Zögling Törleß einmal aufgesucht hat, um sich eine Erklärung gewisser Grundbegriffe der Mathematik – so auch des Imaginären – zu erbitten, die der ungeschulten Vernunft tatsächlich Schwierigkeiten bereiten können. Ich muß sogar gestehen, daß er hiebei unleugbaren Scharfsinn entwickelte, jedoch mit einer wahren Manie nur solche Dinge ausgesucht hatte, welche gewissermaßen eine Lücke in der Kausalität unseres Denkens – für ihn wenigstens – zu bedeuten schienen.
    Erinnern Sie sich noch, Törleß, was Sie damals sagten?«
    »Ja. Ich sagte, daß es mir an diesen Stellen scheine, wir könnten mit unserem Denken allein nicht hinüberkommen, sondern bedürften einer anderen, innerlicheren Gewißheit, die uns gewissermaßen hinüberträgt. Daß wir mit dem Denken allein nicht auskommen, fühlte ich auch an Basini.«
    Der Direktor wurde bei diesem philosophischen Ausbiegen der Untersuchung bereits ungeduldig, aber der Katechet war von Törleß' Antwort sehr befriedigt.
    »Sie fühlen sich also«, fragte er, »von der Wissenschaft weg zu religiösen Gesichtspunkten gezogen? Offenbar war es wirklich auch Basini gegenüber ähnlich,« wandte er sich an die übrigen, »er scheint ein empfängliches Gemüt für das feinere, ich möchte sagen göttliche und über uns hinausgehende Wesen der Moral zu haben.«
    Nun fühlte sich der Direktor doch verpflichtet darauf einzugehen.
    »Hören Sie, Törleß, ist es so, wie Seine Hochwürden sagt? Haben Sie einen Hang, hinter den Begebenheiten oder Dingen – wie Sie sich ja ziemlich allgemein ausdrücken – einen religiösen Hintergrund zu suchen?«
    Er wäre selbst schon froh gewesen, wenn Törleß endlich bejaht hätte und ein sicherer Boden zu seiner Beurteilung gegeben gewesen wäre; aber Törleß
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