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Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

Titel: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß
Autoren: Robert Musil
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Zusammenhang.Wie ein heller Weg lagen sie vor ihm, in den sich die Spuren seiner tastenden Schritte geprägt hatten. Aber noch schien ihnen etwas zu fehlen; kein neuer Gedanke, oh nein; aber sie packten Törleß noch nicht mit voller Lebendigkeit.
    Er fühlte sich unsicher. Und nun kam ihm die Angst, morgen vor seinen Lehrern zu stehen und sich rechtfertigen zu müssen. Womit?! Wie sollte er ihnen das auseinandersetzen? Diesen dunklen, geheimnisvollen Weg, den er gegangen. Wenn sie ihn fragen würden: warum hast du Basini mißhandelt? – so könnte er ihnen doch nicht antworten: weil mich dabei ein Vorgang in meinem Gehirn interessierte, ein Etwas, von dem ich heute trotz allem noch wenig weiß und vor dem alles, was ich darüber denke, mir belanglos erscheint.
    Dieser kleine Schritt, der ihn noch von dem Endpunkte des geistigen Prozesses trennte, den er durchzumachen hatte, schreckte ihn wie ein ungeheurer Abgrund.
    Und ehe es noch Nacht wurde, befand sich Törleß in einer fieberhaften, ängstlichen Aufregung.
     
    Am nächsten Tage, als man die Zöglinge einzeln zum Verhöre rief, war Törleß verschwunden.
    Man hatte ihn zuletzt am Abend, vor einem Hefte sitzend, gesehen, anscheinend lesend.
    Man suchte im ganzen Institute, Beineberg sah heimlich in der Kammer nach, Törleß war nicht zu finden.
    Da wurde klar, daß er aus dem Institute geflohen war, und man verständigte nach allen Seiten die Behörden, ihn mit Schonung einzubringen.
    Die Untersuchung nahm mittlerweile ihren Anfang.
    Reiting und Beineberg, welche glaubten, daß Törleß aus Angst vor ihrer Drohung, ihn hineinzulegen, geflohen sei, fühlten sich verpflichtet, nun jeden Verdacht von ihm abzulenken, und traten kräftig für ihn ein.
    Sie wälzten alle Schuld auf Basini, und die ganze Klasse bezeugte es Mann für Mann, daß Basini ein diebischer, nichtswürdiger Kerl sei, der den wohlmeinendsten Versuchen, ihn zu bessern, nur mit neuen Rückfällen antworte. Reiting beteuerte, daß sie ja einsähen, gefehlt zu haben, es aber nur deswegen getan hätten, weil ihnen ihr Mitleid sagte, man solle einen Kameraden nicht eher der Strafe ausliefern, als man alle Mittel gütlicher Belehrung erschöpft habe, und wieder schwur die ganze Klasse, daß Basinis Mißhandlung nur ein Überschäumen war, weil Basini den ihn aus den edelsten EmpfindungenSchonenden mit größtem, gemeinstem Hohne begegnet war.
    Kurz, es war eine wohlverabredete Komödie, von Reiting glänzend inszeniert, und alle ethischen Töne wurden zur Entschuldigung angeschlagen, welche in den Ohren der Erzieher Wert haben.
    Basini schwieg stumpfsinnig zu allem. Vom vorgestrigen Tag her lag noch ein tödlicher Schreck auf ihm, und die Einsamkeit seiner Zimmerhaft, der ruhige, geschäftsmäßige Gang der Untersuchung waren für ihn schon eine Erlösung. Er wünschte sich nichts als ein rasches Ende. Überdies hatten Reiting und Beineberg nicht verabsäumt, ihn mit der fürchterlichsten Rache zu bedrohen, falls er gegen sie aussage.
    Da wurde Törleß eingebracht. Todmüde und hungrig hatte man ihn in der nächsten Stadt aufgegriffen.
    Seine Flucht schien nun das einzig Rätselhafte in der ganzen Angelegenheit zu sein. Aber die Situation war ihm günstig. Beineberg und Reiting hatten gut vorgearbeitet, von der Nervosität gesprochen, die er in der letzten Zeit an den Tag gelegt haben sollte, von seiner moralischen Feinfühligkeit, die es sich schon zum Verbrechen anrechne, daß er, der von Anfang an um alles wußte, nicht gleich die Sache zur Anzeige gebracht habe und auf diese Weise die Katastrophe mit verschuldete.
    Törleß wurde also schon mit einem gewissen gerührten Wohlwollen empfangen, und die Kameraden bereiteten ihn rechtzeitig darauf vor.
    Dennoch war er fürchterlich aufgeregt, und die Angst, sich nicht verständlich machen zu können, erschöpfte ihn völlig. ...
    Die Untersuchung wurde aus Diskretion, da man doch etwaige Enthüllungen befürchtete, in der Privatwohnung des Direktors geführt. Zugegen waren außer diesem noch der Klassenvorstand, der Religionslehrer und der Mathematikprofessor, welchem es als dem Jüngsten des Lehrerkollegiums zugefallen war, die protokollarischen Notizen zu führen.
    Um das Motiv seiner Flucht befragt, schwieg Törleß.
    Allseitiges, verständnisvolles Kopfnicken.
    »Nun gut,« sagte der Direktor, »wir sind hierüber unterrichtet. Aber sagen Sie uns, was Sie bewog, das Vergehen des Basini zu verheimlichen.«
    Törleß hätte nun lügen können. Aber
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