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Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht

Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht

Titel: Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Geschlechterkampf, sondern legte ihr Augenmerk auf einen faszinierenden Zusammenhang: zwischen Geschlecht (dabei hatte sie die Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten von Frauen und Männern beim imaginierten Drehen dreidimensionaler Figuren im Hinterkopf), Verlangen (vergleichbare Diskrepanz zwischen Homosexuellen und Heteros) und neurologischen Aspekten, die durchaus auch angeboren sein könnten. Nach ihrem Abschluss ergatterte sie eine Assistentenstelle in einem Labor in Toronto. Dort sollte sie später, nach ihrer Promotion, auch das kleine Büro beziehen, in dem die Studie mit dem Plethysmographen stattfand. Übrigens gehört das Labor zum angesehensten psychiatrischen Lehrkrankenhaus Kanadas. Als Chivers mit 22 Jahren dort anfing, war sie die einzige Frau auf dem ganzen Stockwerk. Das Institut beschäftigte sich ausschließlich mit männlicher Sexualität. Eines Tages fragte sie Kurt Freund, den mit 81 Jahren ältesten Wissenschaftler des Instituts und eine Koryphäe, warum er sich noch nie mit weiblicher Sexualität beschäftigt hätte.
    Der glatzköpfige Mann mit der scharf geschnittenen Nase stammte ursprünglich aus der Tschechoslowakei. Dort hatte die Armee in den 1960er Jahren Psychiater engagiert, die Rekruten überführen sollten, die – um der Wehrpflicht zu entgehen – vorgaben, homosexuell zu sein. Dafür hatte Kurt Freund eine Art männliche Version des Plethysmographen entwickelt. Doch das war lange vor der Existenz des weiblichen Äquivalents. Man stülpte einen Glaszylinder über den Penis, der am Schaft luftdicht abschloss. Dann präsentierte man den jungen Männern Bilder. Ein Messgerät zeigte den Luftdruck und eine eventuelle Schwellung an. Wenn bei den Wehrpflichtigen der Druck nicht stieg, sobald Freund ihnen provokante Fotos junger Männer vorlegte, wurde der Proband in die Armee gesteckt.
    Freund machte allerdings nicht mit der Jagd auf angebliche Homosexuelle Karriere. Anfangs versuchte er, Schwule mittels Psychoanalyse zu heilen; doch schon bald bestellte er seine Patienten zu sich und gab ihnen ihr Geld zurück. Er erklärte, dass die Ursache von Homosexualität biologisch sei und weniger mit der Erziehung zu tun habe, demnach auch nicht behandelbar sei. Vor diesem Hintergrund kämpfte er gegen tschechische Gesetze, die Homosexuelle diskriminierten. Nachdem er vor dem Kommunismus nach Toronto geflohen war, half seine visionäre These von einer permanenten sexuellen Orientierung bei Männern – und die Überzeugung, dass Schwulsein alles andere als eine Krankheit ist –, die American Psychiatric Association dazu zu bringen, dass diese 1973 Homosexualität von ihrer Liste der psychischen Störungen nahm.
    Wie auch alle anderen Wissenschaftler in diesem Labor in Toronto betonte Freund die angeborene Prägung sexuellen Verlangens. Angeborenes und Anerzogenes wirken zwar permanent zusammen, aber eben nicht exakt im Verhältnis 50 : 50. Freund beantwortete Chivers’ Frage mit einer Gegenfrage: »Wie könnte ich wissen, wie es ist, eine Frau zu sein? Wer bin ich, dass ich Frauen erforschen könnte, wo ich doch selbst ein Mann bin?« Seine Worte postierten sie auf der anderen Seite einer Kluft – in seinen Augen eines Abgrunds. Für sie war damit eine Herausforderung in den Raum gestellt. Es galt, Experimente anzustellen, Daten zu sammeln, Schlussfolgerungen zu ziehen, Ergebnisse zu replizieren. Sie nahm sich vor, eines Tages eine Karte der weiblichen Lust zu zeichnen. »Ich fühle mich wie ein Pionier am Saum eines riesigen Waldes«, erzählte sie mir bei unserer ersten Begegnung. »Es gibt einen Pfad, der hineinführt, aber nicht viel mehr.«
    Diese Suche lässt an Sigmund Freuds berühmte Worte denken, die dieser vor fast einem Jahrhundert an Marie Bonaparte richtete. Diese Urgroßnichte Napoleons war eine von Freuds psychoanalytischen Schülerinnen. Freud soll zu ihr gesagt haben: »Die große Frage, die ich trotz meines dreißigjährigen Studiums der weiblichen Seele nicht zu beantworten vermag, lautet: Was will eine Frau?«
    Während sie sich die erotischen Videoclips ansahen, trugen Meredith Chivers’ Probandinnen nicht nur einen Plethysmographen in sich, sondern hatten auch eine kleine Tastatur in der Hand. Darauf sollten sie ihre Erregung selbst bewerten. So erhielt Chivers physiologische Daten sowie eine Selbsteinschätzung –
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