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Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht

Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht

Titel: Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Luft reckt. Während das Männchen in wildem Tempo in sie hineinstößt, wirft sie wie in völliger erotischer Hingabe die Arme über ihren Kopf.
    Chivers’ Testpersonen, egal ob hetero oder lesbisch, wurden auf ihrem Sessel von all diesen Szenen gleichermaßen angeturnt, sogar von den kopulierenden Menschenaffen. Die vom Plethysmographen gesammelten Datenmassen lieferten ein Bild anarchischer Erregung.
    Das war mein allererster Eindruck vom Bemühen der Sexologie, dem weiblichen Verlangen auf den Grund zu gehen. Miteinander bekannt gemacht hatte uns Chivers’ Ehemann, ein Psychologe, dessen Meinung ich zu einem anderen Buch über Sex einholen wollte. So erfuhr ich nicht nur von Chivers, sondern von vielen Wissenschaftlerinnen, die laut Chivers allmählich eine »kritische Masse« bildeten – allesamt damit beschäftigt, die weibliche Erotik zu entschlüsseln. Da wären Marta Meana und ihre technisch hoch entwickelten Eye-Tracker, Lisa Diamond mit ihren Langzeitstudien über das Liebesleben von Frauen und Terri Fisher mit ihrer Attrappe eines Lügendetektors. Aber auch Männer beteiligten sich an dem Projekt, etwa Kim Wallen mit seinen Affen und Jim Pfaus mit Ratten. Nicht zu vergessen Adriaan Tuiten mit seinem genetischen Screening und den eigens kreierten Aphrodisiaka Lybrido und Lybridos, die er bei der amerikanischen Arzneizulassungsbehörde FDA einreichte.
    Sie alle besuchte ich in ihren Laboren und Tierbeobachtungsstationen, außerdem sprach ich mit unzähligen ganz normalen Frauen, die mir von ihren Sehnsüchten und ihrer Verwunderung berichteten und erklärten, wie sie ihre Sexualität begreifen – oder auch nicht begreifen. Einige der Geschichten sind in dieses Buch eingeflossen. Da war beispielsweise Isabel, die sich mit der Frage quälte, ob sie ihren attraktiven und anbetungswürdigen Freund heiraten sollte, den sie einst sehr, inzwischen aber nicht mehr begehrte. Wenn sie zusammen an einer Bar standen, forderte sie ihn hin und wieder auf: »Küss mich, als wären wir uns noch nie begegnet.« Nur dann verspürte sie noch so etwas wie ein Echo der Verliebtheit, ganz schwach und nur für einen kurzen Augenblick. »Ich bin noch keine 35«, sagte sie. »Dieses Kribbeln – soll ich das etwa nie mehr spüren?« Oder Wendy, zehn Jahre älter als Isabel, die sich für die Studie mit luststeigernden Medikamenten gemeldet hatte. Sie wollte herausfinden, ob das Experiment mit dieser Pille ihr etwas von dem Verlangen zurückgeben konnte, das sie einst für den Vater ihrer beiden Kinder empfunden hatte.
    Andere, die ich interviewte, kommen zwar nicht als konkrete Fälle vor, haben den vorliegenden Text aber dennoch geprägt: Cheryl, die sich ihre Fähigkeit, Lust zu empfinden, nach einer entstellenden Krebsoperation langsam, aber entschlossen zurückeroberte; Emma, die mich in das Striplokal bestellte, in dem sie sich zehn Jahre zuvor ihren Lebensunterhalt verdient hatte. Ich führte Interview um Interview, weil jedes neue Einsichten brachte. Letztlich haben mich der aktuelle Stand der Wissenschaft und die Aussagen all dieser Frauen zu folgenden Schlussfolgerungen gebracht:
    Das weibliche Verlangen – in seiner angeborenen Bandbreite und Stärke – ist eine unterschätzte und unterdrückte Kraft. Und das selbst in unseren übersexualisierten und vermeintlich so freizügigen Zeiten.
    Auch wenn das in unserer Gesellschaft weiterhin ganz anders wahrgenommen wird, ist die Lust der Frauen meistens nicht von emotionaler Nähe und Geborgenheit abhängig und befeuert, wie Marta Meana in ihren Experimenten zeigen konnte.
    Eine wichtige gesellschaftliche Übereinkunft, die beide Geschlechter gern bedienen, wonach die weibliche Lust viel eher zur monogamen Beziehung taugt als die männliche Libido, ist im Grunde nichts als ein Märchen.
    Dabei ist die Monogamie eines der meistgeschätzten und am tiefsten verwurzelten Ideale unserer Kultur. Wir mögen an ihm zweifeln, uns fragen, ob es ein Irrtum ist, und vielleicht selbst daran scheitern, aber dennoch betrachten wir es als beruhigende, schlichte Gewissheit. Wir definieren unsere romantischen Vorstellungen darüber, lassen unsere Familienform davon diktieren oder zumindest unseren Traum vom häuslichen Glück. Nicht zuletzt ist unsere Überzeugung, was gute Eltern ausmacht, davon geprägt. Die monogame Beziehung ist – oder
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