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Die Verraeterin

Die Verraeterin

Titel: Die Verraeterin
Autoren: J. T. Geissinger
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und damit immun gegen solche Gefühle gewesen wäre.
    Aber du bist der Alpha, zischte das Tier in ihm wütend, das sich sogleich erhob. Und sie hat beinahe deine Schwester umgebracht. Sie hat beinahe deine Frau getötet. Sie hat euch alle betrogen.
    Sein Lächeln verschwand. Er lehnte sich auf dem weichen Kissen seines riesigen Throns aus Holz zurück, holte tief Luft und wartete darauf, dass die Hinrichtung begann.
    »Morgan Marlena Montgomery«, sprach Viscount Weymouth über die erhobenen Stimmen hinweg und starrte durch die Brille, die auf seiner Adlernase saß. Er genoss es, der Zeremonienmeister dieser Hinrichtung sein zu dürfen, denn schließlich war er es gewesen, den sie hatte umbringen wollen. Die Tatsache, dass es ihr nicht gelungen war, machte für ihn in diesem Moment keinen Unterschied. »Tochter von Malcolm und Elizabeth, ehemaliges Mitglied dieses Rats – verstehst du, wessen du angeklagt worden bist?«
    Morgan stand mit gesenktem Kopf vor dem Podest, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Sie war ausgesprochen ernst. Die johlende Menge wurde schlagartig still, und selbst die Brise, die durch die offenen Fenster hereinkam, schien einen Moment lang innezuhalten. Langsam hob Morgan den Kopf und sah den Viscount mit einem ruhigen und direkten Blick an. Die Sonnenstrahlen, die den Raum erhellten, spielten mit ihren Haaren und ließen ihren Kopf rostrot und bronzefarben schimmern. Fast wirkte es so, als würde sie eine Feenkrone aus Licht tragen, und einen Augenblick lang sah sie wie eine Madonna von Michelangelo aus – rein und unschuldig. Sie erinnerte nicht mehr im Geringsten an die verräterische Schlange, die sie in Wirklichkeit war, wie der Viscount wusste.
    »Das tue ich«, antwortete sie leise, aber mit klarer, deutlicher Stimme. »Und ich nehme den Entschluss des Rats an.«
    Der Viscount schnaubte unzufrieden. Sie wirkte so gar nicht verängstigt. Nun, egal. Sie würde schon sehr bald von der furchterregenden Maschine in angemessene Angst versetzt werden. Sehr bald. Da war er sich sicher. Er wollte sie ihrer Kleidung berauben, ihr die Haare scheren lassen und wie einen gerupften Truthahn auf die Todesmaschine schicken. Er wollte sie der Menge überlassen, damit sie ihren Stolz verlor, bevor er befahl, sie auf den Furiant zu binden, seinem Favoriten unter den Folterinstrumenten – genannt nach dem böhmischen Volkstanz, der sich durch ein wildes Wirbeln und schnelle Taktwechsel auszeichnete.
    Bald, versprach er sich erneut, wobei ihm vor Vorfreude beinahe der Speichel im Mund zusammenlief. Schon bald werde ich dich nackt und flehend sehen, du hinterhältige Hexe. Er klappte die dicke Akte, die vor ihm lag, auf, befeuchtete die Lippen mit der Zunge und senkte den Blick.
    »Dann verurteilen wir dich nach einstimmiger Entscheidung dieses Rats«, las er, wobei seine sonore Stimme bis in die hinterste Ecke des Saals reichte, in dem nun völlige Stille herrschte, »zu …«
    »Wartet.«
    Die Stimme hinter ihm ließ ihn aufhorchen. Sie klang klar und selbstbewusst, und der amerikanische Akzent war auch aus diesem einen Wort deutlich herauszuhören. Der Viscount drehte sich überrascht um und starrte ebenso wie alle anderen Anwesenden auf die Frau, die so unerwartet und plötzlich neben dem leeren Thron aufgetaucht war. Sie war in ihrer Blässe wunderschön, das hellste Wesen im Raum, mit goldenen Haaren und in einem elfenbeinfarbenen Satinkleid, das beinahe den gleichen Ton wie ihre Haut besaß. Sie stand wie ein schimmernder Opal inmitten eines Meeres aus schwarzen Perlen.
    Er betrachtete ihr ernstes Gesicht und bemerkte den entschlossenen Zug um ihren Mund. Sein Herz setzte einen Schlag aus.
    »Königliche Hoheit«, murmelte er und erhob sich, um sich vor ihr zu verbeugen. Die Männer zu beiden Seiten standen ebenfalls auf und verbeugten sich. Die Menge tat es ihnen in völliger Stille nach. Als ob die Luft von Elektrizität erfüllt wäre, stieg die Spannung im Saal noch mehr an.
    Leander erhob sich ebenfalls und nahm die Hand seiner Frau. Mit fragend hochgezogenen Augenbrauen beugte er sich herab und presste seine Lippen auf ihre Finger. Als er sich wieder aufrichtete, sah sie ihn durchdringend an und ließ dann ihre Hand in der seinen, um sich dem Saal zuzuwenden.
    »Ich habe eine Idee«, erklärte die Königin.
    Viscount Weymouth begann, unter dem gestärkten weißen Kragen seines Hemds zu schwitzen.

2
    Morgan hatte Schwierigkeiten, sich daran zu erinnern, wie man atmete.
    »Und auf diese Weise«,
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