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Die Verraeterin

Die Verraeterin

Titel: Die Verraeterin
Autoren: J. T. Geissinger
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Haare fielen über eines seiner Augen. Morgan lehnte sich gegen die gepolsterte Rückenlehne ihres roséfarbenen Chintz-Sessels und atmete leise und langsam durch ihre Nase aus. Sei still , flehte sie innerlich und starrte Nathaniel an. Bitte sei still, oder als Nächstes wird dein Kopf in Gefahr sein, du Narr.
    Er war hinreißend und jung, und sie wollte nicht, dass er etwas Törichtes tat und dafür bezahlen musste – schon gar nicht um ihretwillen. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, dass ihre Gabe der Einflüsterung auch über Entfernungen hinweg und nicht nur bei Berührung funktionierte.
    »Ich stimme zu«, sagte Leander. Jeder am Tisch außer der Königin, die neben ihm saß, erstarrte noch mehr. Jenna hingegen wirkte entspannt und elegant, während sie ihre feingeschwungenen Augenbrauen ein wenig hochzog, als ob sie sagen wollte: Los, wagt es nur.
    »Aber, aber …«, stammelte der Viscount. Er war jetzt außer sich und sprang empört auf. »Es ist unmöglich … Es gibt keine Garantie …«
    Ein weiterer Mann erhob sich. Es war Grayson Sutherland, untersetzt und hoch angesehen. »Das Risiko ist zu groß, Leander. Selbst du musst einsehen, dass …«
    »Genau«, sagte ein anderer laut. »Die Risiken sind viel größer als jeglicher Vorteil, den wir daraus gewinnen könnten …«
    »… sie würde einfach nicht zurückkommen …«
    »… es ist unvorstellbar, sich auszumalen …«
    »… man kann ihr nicht trauen …«
    »… die Gefahr für uns …«
    »… denkt doch an die Folgen …«
    Alle Männer waren aufgesprungen und riefen aufgeregt durcheinander. Nur die Königin und ihr Alpha, der stumm und distanziert wirkte, sowie Morgan alleine am Ende des Tisches zitternd in ihrem Sessel, waren sitzen geblieben. Obwohl es in der Bibliothek warm war, hatte sich eine eisige Kälte ihres Körpers bemächtigt, und sie glaubte, bis ins Innerste eingefroren zu sein. Wie in einem Grab. Sie fragte sich, ob sie jemals wieder Wärme empfinden würde.
    Plötzlich erhob sich auch Leander. Mit einer geschmeidigen Bewegung, die sowohl elegant als auch unzweifelhaft bedrohend wirkte, richtete er sich auf.
    »Ruhe«, befahl er durch zusammengebissene Zähne. Schlagartig herrschte Stille im Raum.
    Morgan, der das Blut aus den Lippen gewichen und die vor Angst ganz starr war, musste lächeln. Falls sie je die Autorität des Earl of Sommerley oder seine Kontrolle und Macht über seine Kolonie in Zweifel gezogen hatte – seine Fähigkeit, eine Gruppe aus sechzehn aufgebrachten, blutdürstigen Männern mit einem einzigen Wort zum Schweigen zu bringen –, hatte sie jetzt ihren Beweis, dass sie falschgelegen hatte. Er war nicht ohne Grund der Alpha.
    Er blickte in die Runde, und keiner der Männer wagte es, ihn anzuschauen. Alle starrten vor sich hin.
    »Ich möchte mit meiner Frau sprechen«, erklärte er in einem leisen, eiskalten Ton. »Allein.«
    Die Männer wechselten verärgerte Blicke, knurrten aber ihre Zustimmung. Einer nach dem anderen schob seinen Stuhl zurück und erhob sich. Das Knarzen der Holzbeine auf dem Marmorboden ließ Morgans Puls noch schneller schlagen. Sie gab sich die größte Mühe, nicht mit den Zähnen zu klappern. Jemand trat neben sie und berührte sie sanft an ihrem nackten Arm. Als sie aufblickte, sah sie Nathaniel, der sie zögerlich lächelnd ansah. Wieder fielen ihm die Haare über ein Auge, was ihn aber nicht weiter zu stören schien.
    »Morgan, ich bringe dich zurück in deine …«
    »Nicht anfassen!«, fauchte Viscount Weymouth, der hinter ihm auftauchte. Er riss Nathaniels Hand von Morgans Arm. Der junge Mann wurde bleich und wich mit weit aufgerissenen Augen einen Schritt zurück.
    »Möchtest du, dass sie dich um den Verstand bringt, Junge? Dass sie dich durch eine bloße Berührung zu einer Marionette macht?«
    Er hielt einen Finger hoch, als ob es sich um eine geladene Pistole handeln würde.
    Wieder wich Nathaniel einen Schritt zurück. Morgan wusste, wie sinnlos es gewesen wäre, ihm zu erklären, dass sie nichts dergleichen vorhatte. Sie hielt also lieber den Mund und erhob sich nervös, während sie noch immer versuchte zu begreifen, was diesen Wandel herbeigeführt hatte.
    Morgans Verwirrung war übergroß und mehr als berechtigt. Jenna wäre ihretwegen beinahe gestorben. Warum machte sie sich jetzt die Mühe, ihr Leben zu retten?
    Doch offensichtlich würde sie nicht so bald eine Antwort auf ihre Frage erhalten. Der wütende Viscount war nämlich zum Tisch zurückgegangen und
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