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Die Vermessung der Lust (German Edition)

Die Vermessung der Lust (German Edition)

Titel: Die Vermessung der Lust (German Edition)
Autoren: Catrin Alpach
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verheiratet? Irgendein Dozent hatte es erwähnt, beiläufig und spöttisch, auf einer dieser unzähligen Partys, zu denen man kommen musste, um die »Community« nicht zu vernachlässigen. Jetzt grinste Dora doch ein wenig. Siebzig! Sie mochte sich das Eheleben der beiden nicht vorstellen, wahrscheinlich existierte es überhaupt nicht mehr.
    Madeleine Vulpius galt allgemein als der Inbegriff von sachlicher Nüchternheit, Frau Robot aus Fleisch und Blut, karrieregeil und rücksichtslos. Das Thema ihrer Forschungsreihe war, da musste man kein großer Psychologe sein, ihr eigenes ex negativo. Eigentlich hätte es lauten müssen: Warum gibt es Frauen, die den Verlockungen des Mannes widerstehen? Und auch denen aller anderen denkbaren Lebewesen? Dass die Vulpius indes die Versuchsreihe Gleichgeschlechtlichkeit so vehement ablehnte, konnte auch einen anderen Grund haben. Sie war selbst lesbisch, Punkt. Ihre Ehe mit diesem alten Herrn nichts weiter als Mimikry, Camouflage, was auch immer.
    Lars, galant wie immer, hielt ihr die Tür auf. Sie musste an ihm vorbei, sie berührte ihn leicht. Was passierte dabei? Mehr Endorphine? Endorphine linderten Schmerzen und wirkten euphorisch. Nun, euphorisch war etwas anderes. Sie spürte Lars gern, so wie es angenehm sein kann, wenn einem eine Fliege über den Handrücken spaziert. Aber meistens ist es einem unangenehm und man verscheucht das Biest.
    Doch, sie mochte den Kollegen recht gern. Er arbeitete gut und zumeist still vor sich hin, sie harmonierten im Job, waren in dem knappen Jahr, in dem sie sich nun schon das Büro teilten, zu einem verlässlichen Team geworden, was auch der Vulpius nicht entgangen sein dürfte.
    Dass er bisher noch keinen ernsthaften Versuch unternommen hatte, sie anzubaggern, nahm sie ihm nicht übel. Na ja, vielleicht ein wenig. Wie war das auf der letzten Weihnachtsfeier gewesen? Sie hatten draußen in der Kälte gestanden und geraucht, Lars im Mantel, Dora im zu dünnen Pullover. Dann hatte er seinen Mantel ausgezogen und ihr um die Schultern gelegt. War das schon ein Flirtversuch gewesen? Wahrscheinlich nicht.
    Heute käme sie endlich einmal pünktlich aus dem Büro. Einkaufen, verdammt. Sie musste unbedingt etwas einkaufen, ihr Kühlschrank war vollständig leer, bis auf die beiden Eier, deren Haltbarkeitsdatum sie lieber nicht wissen wollte. Warum grinste Lars gerade so blöde? Ach ja, er betrachtete das Foto. Herr Bergengruen. Mein Gott, was für hässliche Menschen es doch gab!

    *

    Herr Bergengruen. Genial, dachte Lars. Er stellte sich diese verklemmten Tussen vor, fünf unbefriedigte Weiber wie heute wieder. Mein Gott, musste das wirklich sein? Er war Doktorand und kein Callboy. Für sein Aussehen konnte er nichts, er selbst fand sich sowieso nur durchschnittlich. Und war er ja auch, im Bett wenigstens. Ein durchschnittlicher Lover, höchstens ästhetisch-optisch besser als dieser Herr Bergengruen. Nahm er jedenfalls an.
    Aber im Grunde war es seine gute Erziehung, die ihm Pluspunkte beim weiblichen Geschlecht verschaffte. Dass er Frauen aus dem Mantel half, ihnen die Türen aufhielt, all diese Kleinigkeiten eben, die einen nichts kosteten außer ein wenig Aufmerksamkeit. Komisch, dass kulturelle Verhaltensweisen in der Versuchsreihe keine Rolle spielten. Hormone. Nichts weiter als Hormone. Die penible Beobachtung des Blickverhaltens: Gesicht, Arsch, Unterleib.
    Das ergab einen Wust an Informationen, aber keine Erkenntnis. Manchmal bedauerte Lars Frau Professor Vulpius, wenn sie sich durch die Resultate blätterte, die Stirn leicht in Falten gelegt. Dann sah sie besonders attraktiv aus.
    Er mochte Madeleine Vulpius, ihre Selbstbeherrschung und Distanziertheit, die Ruhe, die von ihr ausging, ebenso die knappen Andeutungen eines Gefühlslebens hinter den professionellen Attitüden. Das alles gab ihr eine Aura aus Geheimnis – und Gefahr. Sie war wie jene erloschenen Krater in der Eifel, von denen ihm sein Großvater früher erzählt hatte. Alles sieht ganz friedlich aus, aber das Inferno kann jederzeit losbrechen, dann öffnen sich die Spalten und glühende Lava wird fließen und alles verbrennen...
    Das mochte er sich nicht vorstellen. Ebenso wenig was passieren würde, hätte Madeleine Vulpius selbst die Elektroden auf der Haut und er, Lars, würde den Raum betreten, um von ihr begutachtet zu werden.
    Allein der Gedanke erregte Lars. Er stand nun vor dem Institut, hatte sich von Dora verabschiedet, ihr nachgeschaut, bis sie im Strom der
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