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Die Vermessung der Lust (German Edition)

Die Vermessung der Lust (German Edition)

Titel: Die Vermessung der Lust (German Edition)
Autoren: Catrin Alpach
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dem Tierhaften und dem menschlich Kulturellen finden! Wir haben den Faden in der Hand – rollen wir ihn gemeinsam auf!«
    Madeleine war ein nüchterner Mensch, schon immer gewesen, sogar als Kind, wenn ihr die Mutter vor dem Schlafengehen Märchen vorgelesen hatte. Ein Pfefferkuchenhaus mitten im Wald? Das musste doch aufweichen bei Regen und nicht einmal hungrige Minderjährige würden noch davon essen. Und hundert Jahre pennen? Ging gar nicht.
    Nein, so nicht! Schifflers Begeisterung war fehl am Platze, unwissenschaftlich. Sie wusste allerdings, dass insbesondere Männer so reagierten, sehr starke Reize brauchten, um überhaupt in die Gänge zu kommen. Deshalb hatte der liebe Gott die Frauen mit erotischen Attributen eher verschwenderisch ausgestattet und es nicht bei einer funktionalen Vagina belassen.
    Doch im Grunde teilte sie seine Ansicht, dass sie auf unerforschtes Gebiet vorgedrungen war, eine archaische Kraft, von der die Wissenschaft noch nichts wusste. Sie war so mächtig, dass sie selbst, eine leibhaftige und glücklich verheiratete, souverän über ihren Hormonhaushalt gebietende Professorin, vollständig im Räderwerk der Lust zermalmt worden war, sie hatte mit einem ekelhaften Mann Dinge getan, an die andere selbst im Traum, selbst mit Brad Pitt nicht einmal denken würden.
    Aber genau das war das große Rätsel. Sex war etwas, das man mit attraktiven Partnern ausübte, Liebe hingegen eine Sache seelischer und intellektueller Harmonie mit einem anderen Menschen. Nichts davon traf auf Bergengruen und sie auch nur annähernd zu. Es musste also eine dritte Kraft geben – oder war es einfach nur so gewesen, dass sie sexuell ausgehungert gewesen war, eine Marionette an den Schnüren ihres Triebes? Unsinn. Dann hätte sie ihren Doktoranden Lars ins Bett gezerrt.
    »Was sagen Sie dazu, verehrte Kollegin?« Schifflers Frage riss sie aus ihren Gedanken.
    »Und was ist Ihre Stimme?«, fragte sie zurück, sehr leise und weich, in einer Tonart, die sie noch nie an sich beobachtet hatte. Schiffler weitete die Augen und schaute sie überrascht an. »Was bringt Sie dazu, mit Mädchen zu schlafen, die sie weder lieben noch wirklich sexuell begehren? Oder sollte ich mich täuschen? Nein...«
    In diesem Moment brach Schiffler zusammen, ohne es sich anmerken zu lassen. Er begann zu reden, all die Dinge, über die er noch mit niemandem geredet hatte, Madeleine Vulpius schlug ein Bein über das andere und hörte geduldig zu, so wie sie es bei ihrer Zusatzausbildung als Psychoanalytikerin gelernt hatte. Man brauchte dazu nicht einmal eine Couch.
    Irgendwann war Schiffler erschöpft, aber erleichtert. »Sollen wir einen Kaffee trinken gehen? In die Stadt? Und... ich habe auch eine Ausbildung zum Psychoanalytiker. Wir sollten, bevor wir unser Projekt starten, alles Subjektive klären, wir müssen wissenschaftlich-objektiv werden.«
    Er hatte natürlich Recht. Wissenschaftler mussten forschen wie neugierige Maschinen, distanziert, nicht in die Dinge verstrickt, denen sie auf den Grund gehen wollen. Und einen Kaffee konnte Madeleine Vulpius jetzt ebenfalls dringend brauchen.
    Sie redeten und redeten und redeten. Wie sollte das neue Projekt heißen, wer würde es finanzieren? Wo standen die Geldtöpfe, die man anzapfen konnte, welche Gremien mussten überzeugt, wie viele Anträge geschrieben werden? Personal, Ausstattung, Forschungsansatz, Organisation.
    »Hast du keinen Hunger? Wir könnten zu Ronaldo gehen, ist zwar kurzfristig, aber ich kenne ihn persönlich. Er wird uns schon noch einen Tisch freimachen können.«
    Konrad. Sie musste Konrad anrufen, der mit dem Essen auf sie wartete. »Moment«, sagte sie, stand auf und entfernte sich ein paar Schritte, nahm ihr Handy und wählte die Nummer, ließ es läuten. Konrad meldete sich nicht. Er war wohl vor dem Fernseher eingeschlafen.
    Natürlich war das Essen exquisit. So exquisit, dass sie sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern konnte, als sie schließlich aufbrachen. Ihr Dessert – irgendetwas Sündiges – hatten sie schweigend verzehrt. Zu viel in den Köpfen drin, das darauf wartete, verarbeitet zu werden. Sie verabredeten sich für den nächsten Montag, kleine Exposés, die man würde abklären müssen.
    Draußen war es angenehm kühl geworden. »Ich fahr dich zu deinem Auto«, sagte Schiffler und lächelte. Sie nickte nur. Klar, wohin auch sonst. Gegenüber stand eine Imbissbude, dahinter machte es ein unangenehmes Geräusch, als würde sich jemand übergeben und
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