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Die Vermessung der Lust (German Edition)

Die Vermessung der Lust (German Edition)

Titel: Die Vermessung der Lust (German Edition)
Autoren: Catrin Alpach
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Außergewöhnliches?« Die Frage war genauso überflüssig wie die Papierausdrucke, die sich vor Madeleine stapelten. Sie wusste das. Seit Monaten gab es immer das gleiche Ergebnis, es wurde Zeit, dass sie die Versuchsreihe variierten. Wie verhält es sich, wenn Frauen auf einen Mann treffen, der im landläufigen Sinn eher als unattraktiv gilt? Gerät ihre Hormonproduktion dennoch aus den Fugen? Das konnte interessant werden.
    Wie erwartet schüttelten Dora und Lars die Köpfe. Dora wollte etwas sagen, öffnete den Mund, atmete tief ein, ließ aber die Luft sofort wieder resignierend entweichen und kniff die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Madeleine zog eine Augenbraue hoch, die linke. Sie wusste, was Dora hatte sagen wollen.
    Schon vor Monaten hatte Dora vorgeschlagen, man solle Vergleichsgruppen mit Probanden bilden, die eher der gleichgeschlechtlichen Liebe zugeneigt seien. Inwieweit hängt Attraktivität von chemischen Prozessen ab? Männer rochen anders als Frauen, aber vielleicht rochen Männer für Schwule wie Frauen? Und Frauen für Lesben wie Männer? Und die Aura, die taxierenden Blicke... der Einfluss soziopsychologischer Parameter...
    Die Idee an sich war nicht schlecht. Sehr schlecht allerdings, dass Madeleine sie nicht gehabt hatte. Und bedeutete es auch nicht eine kaum zu begründete Ausweitung des Forschungsgegenstandes, eine Verwässerung der Zielvorgaben? So jedenfalls hatte die Professorin argumentiert. Die Idee war folglich verworfen oder zumindest doch zurückgestellt worden, sehr zum Missfallen Doras.
    Madeleine hatte sie eine Zeitlang aufmerksam beobachtet. War Dora vielleicht selber...? Wie reagierte sie auf Lars, diesen Traum von einem Mann, mit dem sie sich ein kleines Büro teilte, in dem ein Aufenthalt nicht ohne zufällige körperliche Berührungen und ganz, ganz vielen hormonellen Botenstoffen stattfinden konnte? Hatte Dora einen Freund? Sie wollte nicht direkt fragen, tat es aber indirekt, etwa wenn wieder einmal bis spät in die Nacht gearbeitet werden musste. »Ich hoffe, Sie bekommen dadurch keine privaten Probleme.« Dann pflegte Dora nur den Kopf zu schütteln, sagte nichts und arbeitete konzentriert weiter.
    »Morgen früh kommt Herr Bergengruen«, sagte Lars und biss in ein Stück Gebäck, das aussah wie eine von Dali modellierte Kleinplastik. Gut, dass ich keine Elektroden auf der Haut habe, dachte Madeleine und zog die Mundwinkel um wenige Grad nach oben.
    Nein, Lars war viel zu jung, Mitte zwanzig wie Dora, etwas darüber, die beiden würden ein gutes Paar abgeben, obwohl Dora nicht dem klassischen Schönheitsideal entsprach. Die Haare könnte sie sich öfter waschen. Sie hingen ihr strähnig und lang auf die Schultern, mattes Braun, manchmal mit Rottönen darin, auf dem Nasenknochen wölbte sich ein kleines Hügelchen. Die Lippen waren ein wenig zu schmal, vor allem wenn Dora schlecht gelaunt war und sie gegeneinander presste so wie jetzt. Der Rest ihres Körpers erfüllte jedoch alle Ansprüche, die man heutzutage an eine Sexualpartnerin stellte. Von allem genug, weder zu viel noch zu wenig, die Brüste unter dem Shirt konnten birnenförmig sein, der Hintern jedenfalls war es. Schmale Hüften, schmale Schultern, schöne Füße. Wie sie wohl nackt aussah? Für einen Moment stellte es sich Madeleine vor, zwang sich aber sofort wieder zu wissenschaftlicher Sachlichkeit.
    »Herr Bergengruen?«, fragte sie in Lars' Richtung. Der hatte inzwischen den Rest des vaginaförmigen Gebäcks in den Mund gesteckt, kaute genüsslich und legte sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Ja, Sie wissen doch: der unattraktive Mann. Ein Nachbar von mir.« Lars lachte leise. »Sehr nett, Anfang vierzig – natürlich Junggeselle.« Jetzt lachte auch Dora, wenn auch noch leiser.

    *

    Sie lachte nicht mehr, als sie mit Lars über den Flur zu ihrem gemeinsamen Büro zurückging. Ihre Lippen waren wieder gegeneinander gepresst, das sah nicht gut aus, wusste sie selbst. Aber man konnte nichts dagegen tun, es war eine dumme Angewohnheit, für die man sie schon als Kind gescholten hatte.
    Diese arrogante Ziege! Einen Moment lang hatte Dora geglaubt, es sei eine günstige Gelegenheit, noch einmal die Projektreihe gleichgeschlechtliche Paare ins Spiel zu bringen, ein Blick in das wie aus ausgetrocknetem Ton modellierte Gesicht der Professorin hatte sie jedoch gerade noch rechtzeitig eines Besseren belehrt und so war der Vorschlag ungesagt geblieben.
    War die Vulpius nicht mit einem Siebzigjährigen
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