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Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau
Autoren: Regula Stämpfli
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»gesund« gelten. All diese Erscheinungen sind nicht einfach natürlich, chic, hip, Mode, bequem, geil, lockeres Schönheitshandeln, sondern sie sind die am eigenen Körper vollzogene herrschende politische Philosophie. Die Intimoperationen beispielsweise werden Teil dessen, was Frauen in einer
entmenschlichten Warengegenwart unhinterfragt kopieren, nur um zu gefallen. Diese Strategien werden nun als freigewählt, sinnvoll, erotisch, praktisch etc. gepriesen – was wahrscheinlich auch das körperliche Befinden von Frauen stark beeinflusst. Es wird nicht reflektiert, dass die glatte Zurechtschneidung intimer Regionen dem Harmonisierungs- und Normengebot von Waren in einer globalisierten, anatomisierten und sterilen Welt entspricht und direkt auf den Körper, damit auch auf das Gesundheits- oder Krankheitsempfinden zurückfällt. Die Diskussion um die Menopause und die Intimchirurgie zeigt, wie die Vielfalt weiblicher Erscheinungsformen medizinalisiert und aus der Lebenserfahrung herausdiskutiert und damit zu rein materiellen Phänomenen reduziert wird.
    FRAUEN VON DER STANGE
1) »Entzauberung – Wiederverzauberung«: Hartmut Böhme analysiert in seinem »Fetischismus und Kultur« die Bindungskräfte der Moderne. Er geht dem »System der Dinge« (Jean Baudrillard) nach und stellt mit Nietzsche fest: »Es gibt mehr Götzen als Realitäten in der Welt.« Böhme hält klar fest, dass die modernen Gesellschaften auf die Bindekräfte, welche im Fetisch- und Idolkult stecken, angewiesen sind: »Würde man mit einem Schlag alle fetischistischen und idolatrischen Formen in den modernen Gesellschaften abschaffen – wie es Kritiker à la Nietzsche, Marx oder Freud erhofften –, so würde nicht das Reich der Freiheit anbrechen, sondern die Gesellschaften zusammenbrechen.« (S.21)
2) »Wirkliche Weiblichkeit verschwindet hinter der inszenierten Weiblichkeit«: Hier möchte ich Hartmut Böhmes Überlegungen zur widersprüchlichen Moderne im Wortlaut zitieren, weil er die Schwierigkeit benennt, dass wir als Frauen ständig von Idealbildern dominiert werden, während die echten Frauen hinter diesen Masken verschwinden. Die formelle Gleichstellung der Frauen reicht nie aus, aus Frauen wahrnehmungsstarke Subjekte zu machen: »Während Modernisierungsprozesse die formale Integration der Gesellschaft zu leisten vermögen, bieten sie keine gehaltvollen Identifikationen, welche die Moderne in attraktiver Evidenz erfahren lassen. (...) Lebensweltliche Praktiken werden aus kulturellen Traditionen geschöpft, die aus der Vormoderne stammen und willkürlich in die Lebensökonomie eingebaut werden, unter modernen Vorzeichen. Dadurch entsteht das oft beobachtete Switchen zwischen heterogenen oder gar unvereinbaren Handlungs- und Orientierungsmustern: funktionale Arbeitseffizienz unter der Woche, kollektive Ekstasen auf Techno-Veranstaltungen
am Wochenende; rationale Zukunftssicherung hier und Suche nach Risiko-Thrill dort; ökonomischer Kalkül hier und esoterische Anleihen an fremden Kulturen oder weit zurückliegenden Vergangenheiten dort; Partizipation an demokratischen Prozessen und zugleich quasireligiöses Aufgehen in ›Gemeinschaftskörpern‹. Vernunft macht zu wenig Vergnügen, als dass unsere Vergnügungen nicht unvernünftig wären. Es handelt sich hierbei weder um individuelle Pathologien noch um subkulturelle Ungleichzeitigkeiten, sondern um multiple Widersprüche – auf nahezu allen Ebenen des Sozialprozesses. Der massenmediale Star-Kult zieht ins Parlament, die Gnosis ins Internet ein; der kapitalistische Warentausch als vorerst letzte Organisationsform des Güterverkehrs funktioniert nur durch fabelhafte Anleihen an mythische und fetischistische Survivals der Vorzeit; der Sport arbeitet in Formen magischer Partizipation; Festivals imitieren die vergangene Kraft von Mysterien: Riten, Katharsis, erhabener Schauer; das gesellschaftlich Imaginäre wird etwa im Film von den Monstrositäten aller Zeiten bevölkert; die Medien steigern ihre technische Raffinesse aufs äußerste und mit ihr die inszenierten Archaismen; ›Gott ist tot‹ bildet nicht den Übergang zu einer säkularen Gesellschaft, sondern zum Erwachen von Abertausenden neuer Götter; das ›Verschwinden der Dinge‹ im Müll verschwistert sich mit einem Kult des rituellen Aufbewahrens; die Dekonstruktion von sex und gender führt zur Kreation sexueller Hybriden.»S. (22-23). Wenn Böhme meint: »Demokratie bedarf der Kulte, diese aber bedürfen nicht der
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