Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau
Autoren: Regula Stämpfli
Vom Netzwerk:
ist.
3) »Das ganze Ambiente zeugte von einer menschlich kalten Regellosigkeit«: An dieser Stelle möchte ich auf die Schwierigkeit feministischer Kritik und Kritik von einer Frau im Besonderen hinweisen und stütze mich dabei auf die hervorragenden Ausführungen von Andrea Maihofer. In den herrschenden Verhältnissen verlässt die meisten Menschen der Mut, Kritik an Macht, Institution und Gesellschaft zu äußern. Dies gilt besonders für Frauen. Das kritische Denken in Alternativen ist nicht medientauglich, zudem wird jede Komplexität schon im Kern erstickt. In der Wissenschaft und in den Medien passiert dies meist mit einem Hinweis auf den »Naturzustand«, »Der Mensch ist so«, sprich »Ontologisierung« und »Naturalisierung«, d.h. mit der »Es war schon immer so« oder »Das ist doch nichts Neues«-Keule. So zu argumentieren zementiert und legitimiert die herrschenden Machtverhältnisse. Das ist die eigentliche »symbolische Gewalt«, wie sie auch Pierre Bourdieu entlarvt hat. Menschen glauben so, dass sie eh nichts ausrichten können und die Kritik fruchtlos sei, da der Mensch so und nicht anders wäre. Dabei ist nichts so, wie es ist, sondern es könnte ganz anderes sein als es war bzw. scheint, siehe auch Foucault. Die symbolische Gewalt hat nach Andrea Maihofer folgende Auswirkungen: »Das hat vielen den produktiven Sinn von Utopien, des Denkens, dass und wie es ganz anders sein könnte,
vergessen oder jeglichen Versuch im Halse stecken lassen.« Ich gehe noch weiter, denn es gibt Utopien und Kritiken, doch die werden dann gerne einfach unter »ferner liefen« entsorgt, so dass der Feuilleton immer unter völliger Nichtbeachtung der Frauen titeln kann: »Wo bleiben die großen Denker, Geschichten, Erzählungen, Deutungen, Philosophen etc.?« – wenn sie in Tat und Wahrheit dem Chefredaktor direkt gegenübersitzen. Feministische Kritik hat es besonders schwer. Nicht nur wird von ihr immer ein alternativer Lebensentwurf verlangt, sondern sie wird gerne marginalisiert, nicht wirklich gehört, nicht ernst genommen oder lächerlich gemacht. Andrea Maihofer nennt dieses Phänomen »hegemoniale Wahrheitspolitik«. Kritik darf also nur so geäußert werden, dass sie den gesellschaftlichen Forderungen, wie diese vorzubringen ist, auch entspricht. Offenbar muss etwas mit der feministischen Kritik passiert sein, dass sie ihrer Relevanz beraubt, in ihrer Wahrheit verfälscht, sie unhörbar gemacht wurde und mit der oberflächlichen Quotendiskussion endgültig zum Verstummen gebracht wurde. Die Kritik an herrschenden Geschlechterverhältnissen erlebt immer dasselbe: Sie wird lächerlich gemacht, es wird ihr vorgeworfen, zu laut, zu schrill, zu radikal zu sein, sie gilt als unlogisch und inkonsequent, grundsätzlich wird jeder feministischen Kritik gerne die gesellschaftliche, allgemeine und intellektuelle Relevanz abgesprochen. Ist es eine Frau, die feministische Kritik übt, wird sie als irrelevant abgetan, indem die Denkerin immer wieder auf ihre Person zurückgeworfen wird und die inhaltliche Kritik an ihrem Körper festgemacht wird. Jung oder alt werden in dem Machtspiel zu entscheidenden Kriterien. Ist die Feministin jung, dann wird sie als Exotin und attraktiv abgestempelt, durch die Medien gejagt und dann entsorgt, ist sie alt, dann wird sie als klassische Männerhasserin, frustrierte Emanze und sexuell uninteressante Tante der Vergessenheit anheimgegeben, es sei denn, sie stelle sich der Diskussion mit einem jungen Mädchen, das zwar von Nichts eine Ahnung, dafür einen schönen, vorzeigbaren Körper hat. Ist die Kritikerin schön und weder zu jung noch zu alt, fragt man sie erstaunt, weshalb sie sich denn so für Frauen und die Kritik an den herrschenden Verhältnissen einsetzt, sie habe doch alles und mit ihrer Schönheit könne sie sich nun wirklich nicht über das Los der Frauen beklagen. Die Lisas in meinem Kapitel sind hier die besonders fiesen Journalistinnen, die jede feministische Autorin aus tiefsitzendem Selbsthass gerne und effizient wie kein Mann entsorgen.
4) »Mehr Frauen sind überall erwünscht – aber um welchen Preis«: Andrea Maihofer zum Abschluss: »Aus einer strukturell defensiven, marginalisierten Position heraus formuliert, ist feministische Kritik stets der Gefahr ausgesetzt, dass ihre Kritik an den patriarchalen Geschlechterverhältnissen
auf etwas rein Persönliches, Privates, mit negativen Affekten (wie Missgunst, Neid, Gekränktheit) Aufgeladenes reduziert und ihrer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher