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Die verlorene Koenigin

Die verlorene Koenigin

Titel: Die verlorene Koenigin
Autoren: Frewin Jones
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hier war die Realität. Das Elfenreich wa r … was? Eine Illusion? Nein, das auch wieder nicht. Und doch schien es nicht so wirklich wie dieses Zimmer. Dennoch wusste sie, dass es real war.
    Ohne groß nachzudenken, machte Tania den einfachen Seitwärtsschritt, der die Tür zwischen den Welten öffnete.
    Augenblicklich löste sich der Raum um sie herum auf und sie atmete aus. Statt des weichen Teppichs befand sich nun harter Dielenboden unter ihren nackten Füßen. Und statt ihres Zimmers erblickte sie glatte braune Wände aus unverputztem Mauerwerk. Der Raum, in den sie getreten war, war kreisrund, hatte eine niedrige Decke mit dunklen Holzbalken und ein schmales, unverglastes, bogenförmiges Fenster, durch das goldenes Sonnenlicht hereinströmte.
    »Ich Idiot!«, sagte sie laut. »Ich war im ersten Stock und hätte genauso gut mitten in der Luft landen können!« Sie lachte, weil sie so viel Glück gehabt hatte: Sie war im Elfenreich in einem Gebäude angekommen, in einem Raum, der auf derselben Höhe lag wie ihr Zimmer in Camden.
    Wie sie aus Erfahrung wusste, hatte vieles im Elfenreich seine Entsprechung in der Welt der Sterblichen und umgekehr t – beinahe so, als wäre alles, was man sah, gleichzeitig auf zwei Fotos abgebildet, die übereinanderlagen. Sie nahmen denselben Raum ein, aber in zwei verschiedenen Welten. Für Tania war der Übertritt von einer Welt in die andere so einfach, wie wenn sie von einem Zimmer in das nebenan ging; dies war ihre Gabe, niemand sonst im Elfenreich konnte zwischen den Welten wandeln, ohne einen mächtigen und gefährlichen Zauber anzuwenden.
    Sie tapste zum Fenster. Die Luft des Elfenreichs wehte ihr entgegen, sie duftete so süß wie Rosen, so betörend wie Geißblatt, so geheimnisvoll wie die Mondblume. Durch das Geflecht aus dünnen Ästen und Blättern hindurch sah sie über das grüne Parkgelände hinweg, das zum Königspalast hin sanft abfiel.
    War sie wirklich erst gestern mit ihrer Schwester Cordelia und einer Meute Hunde über diese grasbewachsenen Hügel spaziert?
    Zu ihrer Linken erblickte sie in der Ferne die vertrauten Türme und Wachhäuschen hinter der großen Gartenanlage, die von gelblichen Wegen durchzogen wurde. Gelegentlich waren Brunnen und elegante weiße Marmorstatuen zu sehen. Tania konnte die entfernten Umrisse von Spaziergängern ausmachen, die von hier oben nicht größer als Schachfiguren schienen. Die Gebäude dort waren die königlichen Privatgemächer, in denen König Oberon mit seinen Töchtern wohnte. Irgendwo in dem gotischen roten Backsteingebäude mit seinen spitz zulaufenden grauen Schieferdächern und cremefarbenen Steinverzierungen, befand sich auch ihr Prinzessinenzimmer.
    Das Gebäude, in dem sie sich jetzt befand, gehörte dagegen nicht zum Hauptteil des Palastes; es war ein kleiner Turm oben auf einem Hügel, umgeben von einem Hain aus Espenbäumen.
    Gegenüber dem offenen Fenster schmiegte sich eine steinerne Wendeltreppe an die gebogene Turmwand; sie schlängelte sich vom Erdgeschoss bis zu einer hölzernen Falltür in der Zimmerdecke. Tania sehnte sich danach, den gewundenen Stufen hinunter zum Erdgeschoss zu folgen und ins Freie zu laufen, das Gras unter den nackten Füßen und den Wind im Gesicht zu spüren.
    Sie lachte auf. »Nur mit einem Handtuch bekleidet?«, sagte sie laut. »Nein, ich glaube, das lasse ich wohl besser.«
    Das Elfenreich würde schließlich immer für sie da sein. Mit einem kleinen Seitwärtsschritt konnte sie zurückkehren, wann immer sie wollte.
    Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick durch das Fenster drehte sie sich um und betrat wieder die Welt der Sterblichen. Sie kam in ihrem Zimmer an, gerade als ihre Mutter hinausgehen wollte.
    »Wo um alles in der Welt kommst du denn plötzlich her?«, stieß ihre Mutter hervor.
    Tania schluckte.
    Denk nach! Sie deutete hinter das Bett. »Ich war da unten«, sagte sie. »Ich habe einen Schuh unter dem Bett gesucht.«
    »Du hättest ja wenigstens was sagen könne n – ich hab dich doch gerufen!«
    »Sorry, ich hab dich nicht gehört.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Was gibt’s denn?«
    Ihre Mutter warf ihr einen seltsamen Blick zu. »Ich wollte dir nur sagen, dass ich mit dem Polizeibeamten gesprochen habe, der für Vermisstenanzeigen zuständig ist.«
    Tania erschrak. »Ich muss aber doch nicht mit der Polizei reden, oder? Dad hat gesagt, dass alles in Ordnung ist.«
    »Es ist ja auch alles in Ordnung«, sagte ihre Mutter. »Aber ich musste ihnen doch
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