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Die Verlassenen

Die Verlassenen

Titel: Die Verlassenen
Autoren: Amanda Stevens
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drehte den Kopf in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, um im Geiste den Weg nachzuzeichnen. Durch die hohen Fenster drang ein wenig Licht von der Außenbeleuchtung in den Raum, und nachdem sich ihre Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, konnte Ree genug sehen. Sie wagte einen Blick um die Schrankecke und sah, dass sich am anderen Ende des langen Ganges etwas bewegte.
    Erschrocken zuckte sie zurück und hielt den Atem an. Vielleicht hatte sie überreagiert. Vielleicht war das auch nur jemand, der ein paar Akten zurückbrachte, genau wie sie. Doch warum hatte derjenige dann das Licht ausgemacht? Nein, wer immer das war, er hatte es auf sie abgesehen.
    Sie wartete ein paar Sekunden, bis sie abermals einen Blick wagte. Dieses Mal sah sie nichts, und sie schlich sich in den nächsten Gang. Hatte sie irgendein Geräusch gemacht? Wusste er jetzt, wo sie war?
    Das Katz-und-Maus-Spiel ging weiter, während Ree sich Reihe für Reihe in Richtung Tür vorarbeitete. Sie wollte gerade losrennen, um hier herauszukommen, als eine Gestalt aus der Dunkelheit hervortrat. Er trug einen OP-Kittel, eine Maske und eine Haube. In der einen Hand hielt er etwas, das aussah wie eine lange Nadel. O Gott.
    Als Ree in den Schutz der Dunkelheit zurückwich, stieß sie mit dem Absatz gegen einen Metallrahmen. Das machte zwar kaum ein Geräusch, doch sie sah, wie er den Kopf drehte, und bevor sie loslaufen konnte, stürzte er auf sie zu. Ree konnte sich nicht bewegen. Ihr Schuh hing an einem Metallriegel fest, und als sie sich losriss, verlor sie das Gleichgewicht und fiel hin. Sie versuchte wegzukriechen, doch er packte sie am Fuß und riss sie zu sich herum.
    Sie wehrte sich aus Leibeskräften – sie trat, kratzte, biss –, mit einem Selbsterhaltungstrieb, der von etwas Urtümlichem und Animalischem gelenkt wurde. Doch sie konnte sie sich nicht aus seinem Griff befreien. Mit gespreizten Beinen setzte er sich auf sie, presste ihren Körper mit den Knien auf den Boden und umklammerte mit einer Hand ihren Hals. Mit der anderen hob er die Nadel.
    Ree schlug nach seinem Handgelenk und kratzte ihn mit den Fingernägeln blutig. Er ließ die Spritze fallen, stieß ein empörtes Grunzen aus und packte sie mit beiden Händen an der Kehle. Er war wie von Sinnen, genau wie sie, doch er war stärker. Punkte tanzten vor ihren Augen, als sie weiter versuchte, ihn abzuwehren. Sie wollte ihm die Gesichtsmaske herunterreißen, doch sie bekam nur den Stoff seines Kittels zu fassen, während sie mit der anderen Hand über den Boden tastete. Sie schloss die Finger um die Spritze, und mit letzter Kraft stieß sie ihm die Nadel in den Hals.
    Er zuckte zurück, Blut spritzte, und er schrie auf vor Schmerz. Ree befreite sich durch ein paar Tritte und richtete sich mühsam auf. Er würde ihr folgen. Daran bestand kein Zweifel. Sie stolperte zur Tür, riss sie auf und rannte durch den langen, leeren Flur.
    Erst als sie schon wieder im Südflügel war, schaute sie nach unten und sah, dass sie etwas in der Faust hielt: ein silbernes Medaillon.
    Jetzt war es Hayden, der so bleich war wie ein Gespenst. „Um Gottes willen, Ree. Wir müssen das der Polizei melden.“
    „Nein! Keine Polizei.“
    Sie saßen in einer dunklen Ecke der Bar unweit des Universitätsgeländes, in der Ree sich mit ihm hatte treffen wollen. Sie hatte zu große Angst, zurück in ihre Wohnung zu gehen.
    „Wir können nicht zur Polizei gehen“, sagte sie in ruhigerem Ton. „Die würden mir niemals glauben.“
    „Wie meinst du das, die würden dir nicht glauben? Du bist von oben bis unten voll mit seinem Blut.“
    Sie blickte an sich hinunter auf die winzigen Spritzer und erschauerte. „Ein DNA-Test dauert eine Weile. Und wie wollen wir wissen, dass die Ergebnisse nicht verfälscht werden? So wie es aussieht, hat Dr. Farrante ein paar mächtige Verbündete. Wenn ich irgendeine Anschuldigung gegen ihn oder das Krankenhaus erhebe, ist es mit meiner Karriere so gut wie vorbei.“
    „Immer noch besser, als wenn es mit dir vorbei ist.“
    „Schau dir das hier an.“ Sie schob das silberne Medaillon über den Tisch. „Das sieht genau so aus wie das Medaillon, das ich in meinem Traum gesehen habe. Der, der mich angegriffen hat ... er ist einer von ihnen.“
    Hayden sagte langsam: „Aber wie du schon selbst gesagt hast, es war nur ein Traum. Oder glaubst du inzwischen, dass Ilsa wirklich versucht, mit dir Kontakt aufzunehmen?“
    Ree erinnerte sich an die warnende
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