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Die Verlassenen

Die Verlassenen

Titel: Die Verlassenen
Autoren: Amanda Stevens
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Berührung, die sie im Nacken gspürt hatte, kurz bevor das Licht ausgegangen war. „Im Moment weiß ich gar nicht mehr, was ich glauben soll.“ Sie massierte sich mit den Fingerspitzen die Schläfen.
    Sie wollte nicht mehr über Ilsas Totengeist sprechen. Sie wollte über das sprechen, was sie in dieser Krankenakte gelesen hatte. Das meiste hatte sie Hayden bereits am Telefon erzählt, aber sie musste das Ganze erst noch verarbeiten. „Was man Ilsa in jener Nacht angetan hat, war ein Geheimnis, das diese Männer auf ewig aneinander gebunden hat. Niemand hat es gewagt, die Wahrheit zu sagen, denn wenn einer umfiel, riss er die anderen mit.“
    Hayden sagte nichts, aber er sah sie eindringlich an.
    „Ihr eigener Stiefbruder hat sie in jener Nacht auf den Friedhof gelockt. Und als er mit ihr fertig war, durften sich die anderen über sie hermachen. Statt dafür zu sorgen, dass ihr Gerechtigkeit widerfährt, hat James Tisdale das Ganze vertuscht. Er hat Ilsa geopfert, um seinen Sohn und die politischen Ambitionen seiner Familie zu schützen. Sie ist nie nach Europa durchgebrannt. Man hat sie in eine Nervenheilanstalt gesteckt.“
    Er griff über den Tisch und nahm ihre Hand. Er schien zu verstehen, dass sie über das reden musste, was sie in der Krankenakte gelesen hatte. Ganz so, als würde der Schrecken kleiner werden, wenn sie ihn mit jemandem teilte.
    „Ihre Familie hat sie im Stich gelassen, und sie haben Milton Farrante einen Freifbrief gegeben, dass er seine grausamen Experimente an ihr durchführen kann. Man hat sie Elektroschockbehandlungen unterzogen, und zwar zehn Jahre, bevor diese Form der Therapie offiziell eingeführt wurde. Er scheint auch eine der ersten Lobotomien an ihr vorgenommen zu haben.“
    „Unglaublich, dass er das alles tun konnte, ohne dass irgendjemand davon erfahren hat“, sagte Hayden.
    „Damals waren die Irrenanstalten voll von Vergessenen; Verlassene – so wie Ilsas Baby. Violet ist kerngesund zur Welt gekommen, aber sie hat ihr ganzes Leben in dieser Anstalt verbracht als Experiment von der Wiege bis zur Bahre für drei Generationen von Farrantes. Die arme Ilsa ist gestorben, als Violet gerade mal sieben Jahre alt war.“
    „Aber ich glaube nicht, dass sie tatsächlich gegangen ist“, sagte Hayden. „Ich glaube, dass ihr Totengeist in der Anstalt geblieben ist, bei Violet. Überleg mal. Die ganzen Jahre. Unfähig, die Experimente zu stoppen, und hilflos zusehen zu müssen, wie aus ihrer Tochter eine einsame alte Frau wurde. Aber als Violet starb, war Ilsa plötzlich frei. Und du warst da, an Violets Bett – für Ilsa die Möglichkeit, das Krankenhaus endlich zu verlassen.“
    „Es tut mir leid, Hayden, aber ich kann einfach nicht glauben, dass etwas so ...“
    „Irrationales? Unlogisches? Verrücktes? Wie willst du dir den Traum sonst erklären?“
    „Das weiß ich nicht. Aber es muss einen anderen Grund geben. Vielleicht war da irgendetwas in meinem Unterbewusstsein, was ich vor langer Zeit einmal gelesen oder gehört habe, und das ist durch Miss Violets Tod hochgekommen.“
    „Was ist mit den kalten Stellen, mit dem Raureif an den Fenstern, mit dem eisigen Hauch in deinem Nacken? Das ist nicht unterbewusst oder Einbildung. Sie ist da, Ree. Du kannst sie nicht sehen, aber sie ist da. Und sie wird erst gehen, wenn du ihr gibst, was sie von dir will.“
    „Und was ist das?“
    Er hielt ihre Hand noch fester. „Versetz dich doch mal in ihre Lage. Nach allem, was man ihr und ihrer Tochter angetan hat ... was würdest du da wollen?“
    „Rache“, erwiderte Ree schaudernd.
    „Genau. Und sie braucht eine Verbindungsperson, um ihren Zorn zu lenken.“
    Ree zog ihre Hand weg. „Das ist doch verrückt. Nicht einmal Totengeister, nicht einmal Ilsa, können mich dazu bringen, etwas gegen meinen Willen zu tun. Sie kann mich nicht benutzen, es sei denn, ich erlaube es ihr.“
    Haydens Blick brannte sich in ihre Augen. „Ich wünschte, es wäre so, aber wir haben im Grunde keine Ahnung, womit wir es zu tun haben.“
    Das Charlestoner Institut für Parapsychologie lag am Rand der historischen Altstadt in einer prachtvollen, dreistöckigen alten Villa mit hohen, strahlend weißen Säulen und einer wundeschönen dreistufigen Veranda, in der sich die Brise des Lowcountry fing. Hayden betrat das Haus durch den Seiteneingang und ging durch die Eingangshalle. Er hatte vorher angerufen, um sich zu erkundigen, ob Dr. Shaw ihn so spät überhaupt noch empfangen würde, und der alte Herr
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