Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
ihm das alles selbst angetan. Jetzt hob er die Hände und nahm sowohl diese als auch die Arme in Augenschein.
    Der rechte Arm wies den gleichen Überzug auf wie der Rumpf, obwohl inzwischen eingetrübt, und er entdeckte kleine Borsten darauf und kleine Fingernägelmonde an den Fingern. Der linke Arm wirkte bis in die Einzelheiten perfekt, bis hin zu vollständigen Fingernägeln, den runzligen Knöcheln und der Hautbeschaffenheit, aber das Ding war komplett weiß wie die Schale, die seinen Kopf bedeckte. Er tastete mit der rechten Hand nach dem linken Arm, hatte aber kaum eine Empfindung in den Fingerspitzen; die Armprothese spürte jedoch den Griff dieser Fingerspitzen und wies damit beträchtlich mehr Tastgefühl auf als der noch echte rechte Arm.
    »Das Tastempfinden verbessert sich zunehmend, während wieder Nerven in die Hautschicht hineinwachsen«, erklärte Sanders. »Sobald Ihre Haut die Synthohaut komplett ersetzt hat, funktioniert das wieder normal … na ja, beinahe.«
    Er fasste sich ans Gesicht, und das Gefühl war sehr seltsam. Er spürte tatsächlich die Fingerspitzen auf der Wange, aber auf eine entkoppelte Art und Weise, als würde die Berührung durch ein Baumwolltuch gedämpft. Während er die Schale über dem Schädel abtastete, öffnete Sanders ein Paket und brachte damit einen schlichten weißen Pyjama und Hausschuhe zum Vorschein.
    »Sie müssten sich selbst anziehen können«, sagte sie. »Oder möchten Sie, dass ich Ihnen helfe?«
    »Ich werde versuchen, es selbst zu tun«, sagte er kalt. Er hatte das Gefühl, dass es an der Zeit war, ihre Vertrautheit mit seinem Körper zurückzufahren.
    Es fiel ihm schwer, sich vorzubeugen. Die Bauchmuskeln fühlten sich an wie Gelee und schienen gerade noch kräftig genug, um alles dahinter festzuhalten, als könnte der Hauch einer falschen Bewegung gleich zu einem Bruch führen. Beim Zusammenziehen der Oberschenkelmuskeln hatte er das Gefühl, dass sie nicht richtig befestigt waren.
    »Wo sind die übrigen Patienten?«, erkundigte er sich. »Wurden sie auf die Häretikerinsel gebracht?« Er konnte ruhig mal in ihrer Fantasiekonstruktion mitspielen und sehen, wohin ihn das führte.
    »Die meisten sind wieder bei ihren Familien oder Freunden oder machen ihre Reha im städtischen Krankenhaus«, antwortete sie. »Nur spezielle Patienten werden zur Insel gebracht – hochrangige Angehörige der Theokratie.«
    »Gefangene.«
    Als er die Pyjamajacke endlich angezogen hatte, betrachtete er verwirrt deren Front und suchte nach den Knöpfen. Sanders half ihm, indem sie die beiden Hälften zusammendrückte, worauf diese eine Bindung herstellten. Als Sanders zurückwich, blickte er auf seine Genitalien hinab. Sie waren durchsichtig: Röhren, Adern und Hoden deutlich sichtbar. Er musste sofort die Hose anziehen. Er versuchte, die Beine anzuziehen. Zunächst reagierten sie nicht, aber wenig später konnte er die Knie beugen und bekam die Füße in Griffweite. Er zog die Hosenbeine darüber und über die Knie bis zu den Oberschenkeln; dann musste er abbrechen, denn er atmete schwer.
    »Mir ist zu heiß.«
    »Ihre Prothese verfügt nicht über Schweißdrüsen, aber der Rest Ihres Körpers müsste das kompensieren«, sagte sie. »Geben Sie ihm eine Chance – je mehr Sie sich bewegen, desto schnelleradaptieren sich die synthetischen Teile und desto rascher verläuft die Heilung.«
    Endlich konnte er die Beine aus dem Bett schwenken, die Füße in die Hausschuhe stecken und, während er sich mit dem künstlichen Arm festhielt, die Hose hochziehen, obwohl Sanders dann dabei half, die Haftnähte zu schließen.
    »Sind Sie so weit, mal einen Versuch zu wagen und umherzugehen?«, fragte Sanders. »Der Transporter steht bereit.«
    Er stieß sich vom Bett ab, und ihm war schlecht und schwindelig, sodass er keine Einwände erhob, als Sanders herbeitrat und ihn stützte. Ganz langsam näherten sie sich der Luftschleuse. Ob er jetzt wohl bequemerweise ohnmächtig wurde und nicht zu sehen brauchte, was draußen lag? Als sie vor der Luftschleuse stehen blieben, half ihm Sanders, das Gleichgewicht zu halten, bis er einen Ständer mit einem Arsenal unterschiedlicher Werkzeuge für Teicharbeiter packen konnte – Netze, Stachelstöcke und Teleskopgreifer. Dann ging sie zur anderen Seite der Schleusenluke, nahm eine Atemmaske von einem weiteren Ständer und legte sie an.
    »Was ist mit mir?«, fragte er, als ihm auffiel, dass sie keine Atemmaske für ihn zur Hand genommen hatte.
    »Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher