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Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand
Autoren: Ines Thorn
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schließlich haben wir dieselbe Bibel. Also habe ich dem Rat angezeigt, dass die Liebfrauenkirche evangelisch geworden ist.» Er breitete die Arme aus. «Alles ist gut, du musst dich nicht sorgen!»
    Gustelies seufzte tief auf und verdrehte die Augen zum Himmel. «Herr, warum strafst du mich so?», wollte sie wissen, dann wandte sie sich an ihren Bruder. «Und du denkst, der Erzbischof von Mainz ist dumm genug, deine Schelmerei nicht zu bemerken? An wen führst du die Kollekte ab? Wem schuldest du Rechenschaft? Und vor allem: Wer zahlt dir deinen Lohn?»
    «Kein Problem. Ich habe für alles eine Lösung», prahlte Pater Nau. «Ich teile die Kollekte in zwei Hälften und gebe jedem Rechenschaft. So einfach ist das. Vielleicht bekomme ich ja nun von zwei Seiten meinen Lohn.» Er rieb sich die Hände. «Ich bin ein Mann Gottes, und ich bin sicher, dass es dem Herrn vollkommen gleichgültig ist, ob ich ein evangelischer oder ein katholischer Geistlicher bin. Meine Aufgabe ist es, das Evangelium zu verkünden, Seelsorge zu betreiben, egal, ob im Beichtkasten oder andernorts.»
    Gustelies nickte. «Dann lass uns beten, dass auch deine weltlichen Herren so denken, wie du es dem Herrgott unterstellst.» Sie schaute bekümmert. «Hoffentlich, Bernhard, bringst du uns damit nicht in Teufels Küche. Unser Leben hängt an dem, was du tust. Ich habe wirklich keine Lust, mich auf meine alten Tage noch einmal zu verändern. Als ob das Leben nicht schon schwer genug wäre! Jetzt fängst du auch noch an, Schlawinereien zu begehen! Ist denn die ganze Welt verrückt geworden?»
    Von der Straße her war lautes, ausgelassenes Gelächter zu hören, und schon stand Gustelies am Fenster und blickte hinaus. «Komm schnell, Bernhard, das musst du dir mit eigenen Augen ansehen.»
    Draußen hatten sich drei Mägde untergehakt und tanzten um den Brunnen herum. Ein Bürger im ordentlichen Wams blieb stehen: «Habt ihr nichts zu tun, Weibsvolk? Wartet niemand auf euch? Schert euch zu euren Dienstherren und dankt Gott, wenn die nichts von eurer Frivolität erfahren.»
    Eine der Mägde streckte dem braven Bürger die Zunge heraus. «Wisst Ihr denn nicht, dass wir alle längst in der Hölle sind?», rief sie ihm zu und lachte, dass man all ihre Zähne sah. Ihre Gefährtin leckte sich über die Lippen. «Unsere Gebete sind die Küsse, denn nur die Liebe kann uns erlösen.» Dann warf sie dem Mann eine Kusshand zu. Der schüttelte sich und machte sich mit empörter Miene davon. Die Weiber aber lachten, bespritzten sich mit dem kalten Brunnenwasser, sodass ihre Mieder schon bald ganz nass waren.
    «Pfui!» Der Pater bekreuzigte sich. «Was soll das denn? Ist die Wollust ausgebrochen? Was treiben die Weiber denn da? Der gute Mann hat recht. Haben die nichts zu tun?»
    Gustelies wandte sich zu ihrem Bruder um. «Da kannst du sehen, was der neue Prediger anrichtet. Die Weiber geraten außer Rand und Band. Es wird Zeit, dass der Rat der Stadt eingreift.»
    Der Pater beugte sich weit vor, um noch einen Blick auf die durchtränkten Mieder der drei Mädchen zu erhaschen, doch Gustelies schob ihn weg. «Bist du nicht besser als diese Kebsweiber? Hast du auch nichts zu tun?»
    Sie wandte sich wieder ihrem Weidenkorb zu, und der Pater stapfte ohne ein weiteres Wort die Treppe hinauf.
    Gustelies zerrte das Huhn, das mittlerweile gut ausgeblutet war, aus dem Korb, warf das triefende Stroh weg und tauchte es zuerst in kochendes Wasser und anschließend in einen Eimer kaltes Brunnenwasser. Dann hängte sie es an ein Pfannengestell und machte sich daran, es zu rupfen. Sie riss so heftig an den Federn, dass das Huhn zweimal vom Gestell krachte, aber Gustelies war so wütend auf Pater Nau, den Prediger, Mutter Dollhaus, Jutta, den Sommer und die Welt im Allgemeinen, dass sie sich einfach nicht beruhigen konnte. Als sie das Tier fertig gerupft hatte, riss sie einen Kienspan an und sengte die letzten Reste der Federkiele ab. Endlich lag das Huhn nackt vor ihr. Aber so, wie Gustelies sich heute fühlte, erinnerte sie die Nacktheit nur ein weiteres Mal daran, dass in ihrem Leben etwas Entscheidendes fehlte.
    Sie hielt inne, betrachtete das Huhn und ließ sich auf einen Küchenstuhl plumpsen. «Bin ich wirklich schon so alt?», flüsterte sie vor sich hin. «Werde ich gar bald eine von denen sein, deren Mundwinkel nach unten hängen, die nichts Schönes mehr erblicken können und die Mitmenschen mit Hader und Neid verfolgen?»
    Tränen stiegen in Gustelies auf, doch bevor
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